piwik no script img

Der Tyrannenmord ist keine Alternative

■ Immer öfter wird gefordert, die Person Milosevic aus dem Weg zu räumen. Doch das wäre ein erneuter Rechtsbruch. Laut Völkerrecht sind Angriffe nur gegen „Kombattanten“ erlaubt

Nach fast sechs Wochen Krieg im Kosovo bringen Politiker unterschiedlicher Parteien den „Tyrannenmord“ an Jugoslawiens Staatschef Slobodan Miloevic als Konfliktlösung ins Spiel. Nach dem FDP-Politiker Jürgen Möllemann spricht nun auch Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) vom „Tyrannenmord“ als Alternative zu den Angriffen der Nato.

Solche Aufrufe rütteln an einem Tabu: Das Völkerrecht verbietet es, Zivilpersonen – und nichts anderes ist Miloevic – zum eigentlichen Ziel militärischer Angriffe zu machen. Allerdings scheiden sich die Geister, ob dieses Verbot nicht auch die Bombardierung von Miloevic' Residenz in Belgrad oder die Zentrale seiner Partei ausschließt. „Was die Nato tut, bewegt sich hart am Rande der Legalität“, urteilt der Völkerrechtler Christian Tomuschat von der Berliner Humboldt-Universität.

Seit Beginn der Nato-Militärschläge gegen Jugoslawien wird in Brüssel ebenso wie an den Regierungssitzen der am Einsatz beteiligten Staaten ein Satz wiederholt: „Miloevic ist kein Ziel.“ Nach der Haager Landkriegsordnung und den nach dem Zweiten Weltkrieg ausgehandelten Genfer Konventionen sind Militärschläge ausschließlich gegen militärische Ziele und gegen sogenannte Kombattanten, also Streitkräfte mit Kampfauftrag, gestattet. Miloevic schickt als Vorsitzender des Obersten Verteidigungsrates, dem das Armeekommando obliegt, zwar Soldaten in den Krieg – er selbst wird aber qua Völkerrecht aus der Schußlinie genommen.

Völkerrechtler Matthias Herdegen von der Uni Bonn findet das „nicht unbedingt zynisch“: „Im Kampf kann niemand Entscheidungen zwischen Gut und Böse treffen, da müssen klare Unterscheidungen zwischen Kombattanten und Zivilbevölkerung herrschen.“ Zivilisten dürften „lediglich als Nebeneffekt bei Angriffen auf erlaubte militärische Ziele in Mitleidenschaft gezogen werden.“

Doch was die Nato„military target“ nennt, ist nach Auffassung des Berliner Völkerrechtlers Tomuschat „ein Blankettbegriff, über den sich streiten läßt“. Für Jochen Frowein vom Max-Planck-Institut für Völkerrecht in Heidelberg sind die Nato-Angriffe „sowohl auf die Parteizentrale als auch auf die Residenz von Miloevic rechtswidrig“. Gerechtfertig werden könnten sie nur, wenn ein Großteil der militärischen Planung in der Parteizentrale oder der Residenz abgewickelt würde.

Auch die Bombardierung von Donaubrücken wie in Novi Sad hält Frowein für fragwürdig. „Leider haben wir eine Entwicklung, in der vieles nicht mehr so wichtig erscheint“, bedauert er. Nach offiziellem Sprachgebrauch führt die Nato gar keinen Krieg gegen Jugoslawien, statt dessen benutzt die Allianz den Begriff „humanitäre Intervention“ – der völkerrechtlich völlig unbekannt ist.

Dies führt nach Auffassung des Friedensforschers Hans Joachim Gießmann dazu, daß sämtliche Rechtsfragen „höchst doppeldeutig“ behandelt werden. So hätten die USA im Grunde auch nicht von Belgrad verlangen können, die drei gefangengenommenen Soldaten als Kriegsgefangene nach den Genfer Konventionen zu behandeln, sagt der wissenschaftliche Referent am Institut für Friedensforschung in Hamburg.

Für Gießmann werden die in Artikel zwei der UN-Charta geschützte territoriale Integrität und die politische Unabhängigkeit eines Staates verletzt, egal, ob die Nato-Angriffe sich nun gegen Jugoslawien oder seinen demokratisch gewählten Präsidenten richten. Die Überlegung eines „Tyrannenmordes“ sei schon aus politischen Gründen abzulehnen: „Damit schafft man einen Märtyrer. Das Argument, daß alles gut wird, wenn Miloevic weg ist, ist eine der vielen politischen Fehlkalkulationen der vergangenen Tage“, sagt Gießmann. Schließlich sei völlig ungewiß, wer dem jugoslawischen Staatschef folgen würde. Karin Finkenzeller (AFP)

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen