Landwirtschaft in Ostdeutschland: Amerikanische Verhältnisse

Landraub vor der Haustür: In Ostdeutschland kassieren Großinvestoren millionenschwere EU-Subventionen.

In den vergangenen fünf Jahren haben sich die Bodenpreise in Ostdeutschland verdoppelt. Bild: dpa

Horst Winkler öffnet die Stalltür und deutet auf das Lämmchen, dessen Nabelschnur noch zu sehen ist: „Gerade auf die Welt gekommen“ sagt der Mann mit dem rosigen Gesicht, der Hut und große Stiefel trägt. 72 Jahre ist Winkler inzwischen alt, noch in der DDR hat er „Ingenieur für Tierproduktion“ gelernt und sich schon damals auf die Schäferei spezialisiert. Der Ruhe wegen.

Jetzt bewirtschaftet er mit seinem Sohn einen Hof mit 130 Hektar und 600 Schafen im brandenburgischen Marxdorf, 60 Kilometer östlich von Berlin. Er ist stolz auf seinen Beruf: „Die Tiere halten beim Weiden die Grasnarbe kurz, dadurch verdichtet sich das Gras und die Unkräuter können sich nicht ausbreiten. Auf den Deichen treten sie den Boden fest, außerdem kann man die Dämme kontrollieren, während man die Schafe hütet.“

Nützlich, keine Frage. Dennoch gehen Schäfer wie Winkler schweren Zeiten entgegen. Denn die Schäferei rechnet sich nicht mehr, Wolle und Fleisch sind wenig lukrativ. Schon heute überleben die Hirten nur dank EU-Subventionen. Und die Lage wird noch schwieriger, denn ostdeutscher Ackerboden ist längst zu einem millionenschweren Spekulationsobjekt der Konzerne und Investoren geworden. Landgrabbing – der berüchtigte Landraub – ist kein Schreckensphänomen afrikanischer Staaten. Er geschieht auch direkt vor der Haustür.

Mit dramatischen Folgen: In den vergangenen fünf Jahren haben sich die Bodenpreise in Ostdeutschland verdoppelt. Die Familie Winkler hat ihre Pachtverträge zwar gerade erst um 12 Jahre verlängert, trotzdem bangt sie, dass man ihr die Pachtflächen abwirbt: „Bei den Pachtsummen, die große Betriebe zahlen, können wir nicht mithalten. Wir befürchten, dass wir in rund zehn Jahren einpacken müssen.“ 

Die Wurzeln des Ausverkaufs

Die Zahlen des Schafzuchtverbands Berlin-Brandenburg belegen, dass die Existenzangst begründet ist. Seit der Jahrtausendwende reduzierte sich der brandenburgische Schafbestand von 170.000 auf 100.000 Tiere. Die Investoren haben ganz andere Geschäftsmodelle als Lammfleisch oder extensive Beweidung.

Die Wurzeln des Ausverkaufs reichen weit zurück. Nach der Wende hielt die alte Bundesrepublik plötzlich 2,1 Millionen Hektar ostdeutschen Ackerboden in den Händen. Die Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH (BVVG), ein Ableger der Treuhand, übernahm 1992 nicht nur die Rückgabe an Alteigentümer, sondern auch die Verwaltung und Privatisierung der Flächen. Bis heute.

Der Löwenanteil der Flächen ist inzwischen verpachtet oder verkauft. In den ersten Jahren waren es vor allem die Nachfolgebetriebe der „Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften“, kurz LPG, deren ehemaligen Leiter das Land extrem günstig pachteten und sich für bis zu 20 Jahre sicherten. Inzwischen laufen viele dieser Verträge aus.

Das Land ist wieder auf dem Markt: 2012 wurden 33.000 Hektar neu verpachtet, 2011 etwa 79.400 Hektar. Das ruft finanzkräftige Kapitalanleger auf den Plan. Denn seit der Finanzkrise 2008 suchen Investoren neue Anlagemöglichkeiten jenseits von Aktien und Häusern in den Metropolen. Ackerboden steht für sichere und einträgliche Renditen. Die Unternehmen greifen in Ostdeutschland nach Land. Die Flächen haben die Größe alter Rittergüter oder die Dimension von preußischem Grundbesitz.

Stroh in Dresden. Bild: dpa

Viele der Käufer sind ursprünglich „außerlandwirtschaftliche Investoren“: Eckehard Niemann von der „Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft“ hat schon im „Kritischen Agrarbericht 2010“ ein gutes Dutzend solcher Großinvestoren aufgelistet: Darunter die Steinhoff Familienholding etwa, denen rund 2.800 Hektar eigenes Land zugeschrieben werden und die insgesamt etwa 20.000 Hektar bewirtschaftet.

Vor allem in den frühen 2000er Jahren hat der Gründer Bruno Steinhoff, der vor der Wende Möbel aus Ostdeutschland und Osteuropa in den Westen importierte und damit zu einem der größten Möbelverkäufer Europas wurde, vier bis fünf große Agrarbetriebe aufgebaut. Dort werden heute vor allem Mais, Roggen und Gerste für Biogasanlagen sowie Getreide für den Handel angebaut, wie es aus dem Unternehmen heißt.

Oder die „JLW Holding AG“ des Viehhändlers Jürgen Lindhorst aus Winsen, die ihr Geschäft auf Landwirtschaft, Immobilien und Seniorenpflege gründet. JLW kultiviert 24.000 Hektar in Brandenburg und Sachsen-Anhalt. Und die Übernahmen gehen weiter.

Zuletzt war es ein 5.000-Hektar- Betrieb am Stettiner Haff: Die Ducherower Agrar GmbH ging in den Besitz des Heizungsindustriellen Martin Viessmann über. Zusammen listet Niemann weit über 100.000 Hektar Land auf, das von solchen Investoren bewirtschaftet wird – das ist weit mehr Land als die Stadtgebietsfläche Berlins. 

Riesige Güter

Zum Vergleich: Die durchschnittliche LPG in der DDR hatte 4.000 Hektar, ein bäuerlicher Durchschnittsbetrieb im Westen kommt auf rund 50 Hektar. Die Strategie dieser Investoren bestand lange darin, auf den riesigen Gütern Pflanzen für Biogasanlagen anzubauen. Neben der Rendite aus der so genannten Bio-Energie waren laut „Manager-Magazin“ die „Wertsteigerungs-Phantasien“ beim weltweit knapp und knapper werdenden Gut „Fruchtbarer Boden“ die Triebfeder.

Das bundeseigene Thünen-Institut für Agrarforschung fand zuletzt heraus, dass „nichtlandwirtschaftliche Investoren“ in den neuen Bundesländern je nach Region zwischen 20 bis 50 Prozent der Äcker und Wiesen in ihren Händen halten. Der Chef eines der größten deutschen Agrarunternehmen, Siegfried Hofreiter, ist immerhin gelernter Landwirt.

Das Geschäftsmodell seiner KTG-Agrar ist verblüffend: Der börsennotierte Konzern bewirtschaftet mit 600 Angestellten 31.000 Hektar Ackerland an über 30 Standorten. Angebaut wird zur Hälfte konventionell, zur Hälfte ökologisch: Bio-Kartoffeln, -Zwiebeln und -Möhren. Dazu Raps und Mais für Dutzende von Biogasanlagen. Die Rendite der KTG-Agrar lag in den letzten Jahren zwischen vier und sechs Prozent - branchenüblich.

Nach einer Berechnung des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) stehen dem Betrieb gemäß der Flächenprämie jährlich allein neun Millionen Euro Subventionen zu. „Millionen für Millionäre“, moniert der Umweltverband. Die gewaltige Anhäufung von Boden und Geld findet Fabian Lorenz, Sprecher der KTG-Agrar, nicht anstößig: „Wir blicken nach Osteuropa und Brasilien. Für dortige Verhältnisse sind wir ein Zwerg“. Reinhard Jung, Sprecher des Bauernbundes Brandenburg, vertritt vor allem Landwirte mit einer Hofgröße von zehn bis 500 Hektar.

Unbestellter Acker in Eisenhüttenstadt. Bild: dpa

Er ärgert sich bis heute, dass sich nach der Wende niemand dafür interessierte, bäuerliche Familienbetriebe zu fördern: „Denjenigen, die sich selbstständig machen wollten, fehlten die notwendigen Seilschaften und die Politik bremste sie systematisch aus.“ Damals sahnten die Insider der DDR-Betriebe ab – schimpft etwa Eckehard Niemann.

Und jetzt schauen die Familienbetriebe schon wieder in die Röhre. Denn mit der neuen Landnahme haben die Bodenpreise das Fliegen gelernt: Kostete ein Hektar Agrarfläche 2008 noch 6.319 Euro, mussten Käufer 2012 schon 13.761 Euro pro Hektar bezahlen. Ähnliches gilt für die Pachtpreise. Das sind Summen, die Familienbetriebe nicht mehr erwirtschaften können.

Udo Kutzke sitzt hinter seinem Schreibtisch und telefoniert. Auf den ersten Blick wirkt der Agraringenieur raubeinig, aber er kann geduldig zuhören und gewandt antworten. Der 63-Jährige hat nach der Wende tiefgreifende Veränderungen erlebt. Er gehört zu den viel kritisierten Ex-LPGKadern, denen vorgeworfen wird, sie hätten ihren Einfluss über die Wende gerettet.

Udo Kutzke fechten solche Behauptungen nicht an. „Ja, ich war LPG-Vorsitzender, aber ich hatte kein Parteibuch. Nach der Wende wollte ich meine Funktion abgeben, aber keiner wollte sie übernehmen. Gut, habe ich damals gesagt, dann wandeln wir uns um.“ So wurde aus der LPG Tierproduktion in Küstrin-Kiez die Cüstriner Landgut GmbH. 

„Ein börsennotiertes Unternehmen, da zählt nur das Geld.“

Ironie des Schicksals: Udo Kutzke stammt aus einem ehemaligen bäuerlichen Familienbetrieb. Seine Familie wurde 1956 im Zuge der „Kollektivierungphase“ enteignet und der Betrieb ging in eine LPG über. Auf den 1.500 Hektar des LPG-Nachfolgehofs wachsen Weizen, Raps und Sonnenblumen. An Tieren gibt es Puten und Kühe. Vier so genannte Tierwirte, fünf Schlepperfahrer, ein Schlosser und drei Verwaltungsangestellte arbeiten hier.

Der Anstieg der Pachten trifft auch Leute wie ihn: Kutzke selbst ist besorgt, weil sich in den letzten Jahren immer mehr Großinvestoren einkaufen. In seiner Umgebung habe sich die KTG-Agrar mit Biogasanlagen und riesigen Maismonokulturen ausgebreitet. „Das ist ein börsennotiertes Unternehmen, da zählt nur das Geld.“ Da achte keiner mehr auf geeignete Fruchtfolgen und es bestünde die Gefahr, dass der Boden veröde, wirft er der KTG vor.

„Bei mir zählt es, Ökonomie und Natur in Einklang zu bringen, mit Abstrichen auf beiden Seiten. Aber ich kann die Natur nicht vergewaltigen, ich habe Verantwortung für den Boden.“ Der Mann ist auch um Pathos nicht verlegen. Auf die amtlichen Bodenverwalter der BVVG ist Udo Kutzke nicht gut zu sprechen. „Wenn meine Pachtverträge auslaufen, nennt mir das Katasteramt einen bestimmten Durchschnittspreis pro Hektar.“

Er lehnt sich weit über den Schreibtisch und seine Stimme ist verärgert: „Die BVVG sagt mir aber den doppelten Preis. Denn der Staat braucht Geld und hat die Gesetze so gestrickt, dass er mit dem Meistbietenden ins Geschäft kommt.“ Auf diesen Vorwurf kontert die BVVG, dass sie bei Ausschreibungen grundsätzlich ortsansässige Bauern bevorzuge.

Verschiedene Entwicklungsstadien im Süden von Leipzig. Bild: dpa

Doch Kutzke wirft den Verantwortlichen Tricksereien vor: „Die Großinvestoren schicken die Landwirte als Strohmänner pachten und kaufen dann das Land. Die BVVG weiß das, versteckt sich aber hinter ihren Regeln.“ „Es wird ungemütlicher. Einzelne Existenzen sind dadurch gefährdet“, erklärt Reinhard Jung, Geschäftsführer des Bauernbundes Brandenburg.

Er kritisiert vor allem, dass die Monokulturen der Großinvestoren das Gesicht Ostdeutschlands verändern: „Plötzlich ist der Boden Renditeobjekt und der landwirtschaftliche Raum hat nichts davon. Wir bekommen amerikanische Verhältnisse, riesige Felder und die Dörfer veröden. Wir wollen aber lebendige Dörfer.“ Für diese Entwicklung macht er die Politik der Nachwendezeit mitverantwortlich.

Die LPG-Nachfolgebetriebe seien finanzschwach gewesen und schon darum überaus geeignete Anlageobjekte für Großbetriebe. Reinhard Jung bewirtschaftet einen Hof mit 30 Hektar Land in Lennewitz in der Prignitz, Brandenburg. Der gebürtige Hamburger ist Überzeugungstäter, er redet wie ein Wasserfall. Und muss selbst lachen, während er das Bild vom Landwirt aus Leidenschaft entwirft.

Doch es ist ihm ernst. Sein Verband würde gerne mehr bäuerliche Familienbetriebe etablieren: „Großbetriebe sind uns in vielen Bereichen überlegen. Nur durch unser Engagement stehen wir gut da. Deshalb ist unsere Wertschöpfung pro Hektar auch höher als die der industriellen Agrarwirtschaft.“ Die Subventionspolitik der EU stützt bislang die Geschäfte der Großen. 

Die Förderung der kleinen bleibt minimal

Das belegen Zahlen des BUND für 2012: „44 Prozent der Bauern in Deutschland bekommen nicht einmal 5.000 Euro pro Jahr. Die größten Agrargüter in Deutschland erhalten dagegen ein Drittel der gesamten Direktzahlungen, obwohl sie lediglich zwei Prozent der Betriebe ausmachen“, heißt es dort. Das wird sich auch nach der kürzlichen Einigung der Agrarministerkonfernz in München nicht nennenswert ändern.

Die Förderung der kleinen und mittleren Betriebe bleibt minimal. Außerdem sperren sich der Deutsche Bauernverband und die ehemalige Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner weiter dagegen, die Zahlungen auf 300.000 Euro pro Betrieb zu beschränken. Solange sie diese Kappung verweigern, verhindern sie einen Strukturwandel. Sie stärken den Großagrariern den Rücken.

Antje Stiebitz, der Artikel ist erschienen in der Ausgabe zeo2 1/2014, ab 10. Dezember im Handel.

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