Selbst Dieter Hoeneß wird gelinde euphorisch

■ Hertha ist nach dem 2:0 gegen Wolfsburg auf dem Weg zur „internationalen Marke“

Berlin (taz) – „Wenn ich ein euphorischer Mensch wäre“, sprach Dieter Hoeneß nach dem 2:0 gegen den VfL Wolfsburg im Wettstreit der Champions League-Aspiranten, „könnte ich ein bißchen schwelgen.“ Nein, ein euphorischer Mensch ist er ganz gewiß nicht, der Manager des Berliner Tabellendritten. Selbst in Hochstimmung wird er den melancholischen Ausdruck im Gesicht nie ganz los – geschwelgt hat er trotzdem ein bißchen. „Wir werden uns schon daran gewöhnen müssen, daß wir nächstes Jahr international spielen“, gab er zu, es schaue ohne Zweifel „ganz gut“ aus. „Ganz gut für den Uefa-Cup“, fügte er hastig hinzu. Das Understatement ist den Verantwortlichen bei Hertha BSC nach langer Leidenszeit so sehr in Fleisch und Blut übergegangen, daß es ihnen schwer fällt, die Realität der Tabelle in klarem Licht zu sehen. Bei ausstehenden vier Spielen sieben Punkte Vorsprung auf einen Nicht-Uefa-Cup-Platz und ein Vier-Punkte-Polster für die Champions League-Qualifikation – das sieht besser als gut aus. „Eine tolle Ausgangsposition“, läßt sich Dieter Hoeneß schließlich doch hinreißen und blickt dabei drein wie von Robert Schwan getreten.

Den Unterschied zum Wolfsburger Parvenü auf den vorderen Rängen zeigte am Mittwoch das Match vor 54.444 Zuschauern im Olympiastadion. Nach frühen Platzverweisen für Ballwanz (VfL) und Thom (Hertha) verdeutlichte das temporeiche Spiel zehn gegen zehn das umfangreichere Repertoire der Berliner. Die „Lufthoheit“ hatte VfL-Trainer Wolfgang Wolf zeitgeistig als entscheidendes Plus des Gegners ausgemacht, hinzu kamen die größere Variabilität der Angriffe, die flächendeckende Präsenz von Dariusz Wosz, der das Duell der Ribbeck-Mauerblümchen gegen Roy Präger klar für sich entschied, und Michael Preetz. Der Stürmer erzielt seine Tore inzwischen sogar schon mit der Hacke (32.), trifft aber auch per Kopf (74.) und ist Garant dafür, daß den Berlinern mitunter auch wenige Torchancen zum Sieg reichen. „Eine überragende Mannschaft“, freute sich Dieter Hoeneß und war besonders begeistert über die „Traumkombinationen“, die Bochums verlorener Sohn in der zweiten Halbzeit mit René Tretschok vollführte. „Da hat Dariusz plötzlich aufgezogen ohne Ende.“

Der Hertha-Manager läßt bei aller Schwelgerei keinen Zweifel daran, daß die Teilnahme an einem europäischen Wettbewerb nur eine Station auf dem Weg zum Spitzenteam sein kann und wenig wert ist, wenn sie so flüchtig bleibt wie bei den deutschen Uefa-Cup-Vertretern in dieser Saison. „Die Richtung stimmt“, sagt Hoeneß, aber es werde lange dauern, „bis wir eine Marke im internationalen Fußball sind wie die Bayern“.

Sein Münchner Ex-Klub ist auch für Dieter Hoeneß „das Maß aller Dinge“, ein Vorbild seien die Bayern aber nicht. „Wir wollen eine eigene Identität.“ Sympathisch soll sie sein, die Hertha des neuen Jahrtausends, „ehrliche Arbeit abliefern“, aber auch „Attraktivität“ bieten. An einer „behutsamen“ Verstärkung des Teams für die nächste Saison wird bereits eifrig gearbeitet, damit die zaghafte Vision des vorsichtigen Managers möglichst schnell Wirklichkeit wird: „In den nächsten zehn Jahren eine Meisterschaft nach Berlin zu holen halte ich für möglich.“ Matti Lieske