: Keine ahnungslosen Friedenstauben –betr.: „Lügen in den Zeiten des Krieges“, taz vom 28. 4. 99
Als Teilnehmerin des Friedenskonvois nach Belgrad möchte ich einiges klarstellen: „Auf den Ernstfall wurde die Gruppe nicht vorbereitet.“ Richtig! Jeder hat sich nämlich selbst vorbereitet; es waren (bis auf einige Ausnahmen vielleicht) keine ahnungslosen Friedenstauben, die da unterwegs waren. Ich sagte in der Vorstellungsrunde im Bus, daß ich im Dezember während der Bombardierungen im Irak war – ein Angebot für jeden, der über die drohende Situation Gesprächsbedarf verspürte. Ich erklärte denen, die sich dann in Jugoslawien über die Sirene erschreckten, daß es Entwarnung und kein Luftalarm sei. Jeder war für sich selbst verantwortlich, und das war den meisten auch bewußt. Wer sich zu dieser Fahrt entschloß, buchte keinen Abenteuerurlaub mit Sicherheitsgarantie. In unserem Bus wurde auch angesprochen, daß im Falle einer Verletzung vermutlich niemand, auch keine Krankenkasse, dafür aufkommen würde und wir in diesem Fall füreinander einstehen müßten.
„Der Junge“ mit dem schlauen Spruch „Eine Million fliehen nicht nur vor Nato-Angriffen“ war wirklich auf dem falschen Dampfer, aber dafür wurde er ja von der taz-Vertretung in die Arme geschlossen. Das Gespräch im Gebäude des Roten Kreuzes war keine Diskussionsveranstaltung, sondern hatte eher einen offiziellen Charakter, ebenso wie der Empfang in der Budapester jugoslawischen Botschaft (wieso wird diese von Ihnen als „serbische Botschaft“ bezeichnet?). Jede Gesprächspartei hatte ihre Sprecher für diese Anlässe. Zwischenrufe in diesem Rahmen waren unhöflich und unangebracht. Zum Diskutieren, auch mit Jugoslawen, konnten wir auf die Straße gehen. Oder uns der mitgereisten taz-Vertretung zuwenden. [...] Der Junge entschuldigte sich später im Bus, daß er uns durch seine Bemerkung in Gefahr gebracht habe ... welche Ahnungslosigkeit. Meines Wissens fürchtete sich bis auf Ausnahmen, die sich ja zu erkennen gaben, niemand vor den Gastgebern. Wer aber von Propaganda verdorben ist, hat wohl Grund, sich zu fürchten. Aber warum sind diese Leute mitgefahren?
Daß wir in der Nacht nicht geblieben sind, war bei solchen Teilnehmern sicher besser, denn die hätten im Bombenhagel noch aggressiv mit Belgrader Bürgern über die Schuld „der Serben“ diskutiert. Vielleicht kann nur jemand, der selbst Bombardierungen miterlebt hat, ermessen, was für ein Schwachsinn das wäre. Im übrigen hatte es an dem Wochenende tatsächlich eine Wende gegeben, wie ich kurz nach meiner Ankunft in Deutschland erfuhr. Durch die jüngsten Angriffe und Drohungen der Nato hatten die Jugoslawen, Bevölkerung und Regierung, endlich kapiert, daß der Nato das Leben von Zivilisten gleich welcher Nationalität keine fünf Pfennig wert ist, und deshalb „durften“ wir gehen. Die unqualifizierten Äußerungen unserer „Helden“ mögen zu dieser Entscheidung der jugoslawischen Behörden beigetragen haben, und auch das ist vernünftig, wie ich bereits erklärte.
Frau Rothe als „Heilsbringerin“ und „Missionarin“ zu bezeichnen, sollte sogar unter der Würde der taz liegen. [...] Sonja Wallenborn, Köln
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