: Vom „Objekt“ zum zahlenden Kunden
Modellversuch: Behinderte sollen persönliches Pflege-Budget bekommen ■ Von Judith Loeck
Wann Katrin duscht, kann sie nicht entscheiden. Als Querschnittsgelähmte muß sie ihr Leben nach dem Zeitplan eines ambulanten Pflegedienstes ausrichten. Doch das soll sich in Hamburg bald ändern: Die Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales (BAGS) arbeitet mit Institutionen und Trägervereinen an einem Entwurf für das „Persönliche Budget“. Damit können Behinderte, die für bestimmte Bereiche des täglichen Lebens auf dauernde Unterstützung angewiesen sind, Pflegedienste und HelferInnen selber aussuchen, organisieren und bezahlen. Ziel ist der Rollenwechsel vom hilfebedürftigen Klienten zum hilfeeinkaufenden Kunden.
„Im Moment ist der behinderte Mensch ein Objekt, das verwaltet wird“, kritisiert Elke Fank, Behindertenbeauftragte der Hansestadt. Die meist starr durchorganisierten Pflegedienste rechnen direkt mit der Gesundheitsbehörde ab. In den sogenannten Bewilligungsbescheiden sind Betreuungsstunden und -arten genau festgelegt. „Mit einem Persönlichen Budget könnten die Betroffenen ihr Leben selbst in die Hand nehmen“, ist Fank überzeugt. Erste Erfahrungen in den Niederlanden, in England und Rheinland-Pfalz sowie wissenschaftliche Auswertungen zeigten, daß dadurch die Selbstbestimmung der Menschen deutlich erhöht wurde. Die Zufriedenheit der Behinderten und der Pflegenden stieg gleichermaßen.
Eine Einrichtung, in der sich die Behinderten ihre HelferInnen immerhin selber aussuchen können, gibt es schon. Die „Hamburger Assistenzgenossenschaft“ wurde von körperlich Behinderten, ihren Freunden und Familien gegründet. Sie waren mit der bisherigen Situation nicht zufrieden: „Bis zu dreißig Pfleger monatlich gehen in manchen Privaträumen ein und aus – und jeder meint, er wisse am besten, wie die Pflege zu handhaben ist und der Tagesablauf auszusehen hat,“ schimpft Susanne Luck, Mitgründerin der Genossenschaft.
Bares Geld halten die Behinderten aber auch in ihrer Einrichtung nicht in der Hand. „Mit einem eigenen Budget bekäme man noch mehr Verantwortung übertragen“, meint Luck. „Es wäre ein weiterer Schritt zu einem ganz normalen Leben.“
Auch wenn es in Hamburg keine Organisation gibt, die das „Persönliche Budget“ öffentlich fordert – mehr Selbstbestimmung ist ein Wunsch vieler Behinderter. „Wenn ich hier einmmal ausziehe, möchte ich mir meine Pfleger selber aussuchen können“, sagt der 24jährige Andre Gehrken, der in einer Wohngruppe von „Leben mit Behinderung“ lebt. „Ich würde auch gerne probieren, meine Finanzen selber zu regeln – und wenn es bedeutet, daß ich und nicht das Sozialamt bestimmt, wann die Rechnungen bezahlt werden.“
Natürlich verursacht ein eigener Finanzhaushalt nicht nur mehr Freiheit, sondern auch zusätzliche Arbeit. „Wer jetzt bequem seine Hilfe organisiert bekommt, wird vielleicht von dem Persönlichen Budget träumen, sich aber nicht unbedingt dafür entscheiden“, schätzt Luck. Doch eine neue Generation Behinderter, die Integrationskindergärten und-schulen besucht und ein so normalen Leben wie möglich führt, wachse gerade heran. „Vor allem von diesen Behinderten wird das Persönliche Budget angenommen werden,“ glaubt auch die Behindertenbeauftragte Fank.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen