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Das, was vom Neuen übrigblieb

■ Das Trauma des Krieges – „Die Macht des Wortes. Neue vietnamesische Literatur“: Lesereihe im Haus der Kulturen der Welt

„Ich weigere mich immer heftiger, an mein Land zu denken“, sagte Pham Thi Hoai, als sie vor knapp zwei Wochen gemeinsam mit dem Autor Do Khiem und der Filmemacherin Trinh T. Minh-ha die Lesereihe „Die Macht des Wortes. Neue vietnamesische Literatur“ im Haus der Kulturen der Welt eröffnete. Die 1960 in der Nähe Hanois geborene Schriftstellerin und Übersetzerin lebt seit einigen Jahren vorwiegend in Berlin, seltener in der vietnamesischen Hauptstadt. Dort ist ihren Texten wenig Glück beschieden: Der erste Roman, „Die Kristallbotin“, konnte nur in zensierter Form erscheinen, einen Band mit Novellen ereilte dasselbe Schicksal, und für jüngere Arbeiten will sich kein Verleger finden.

Auch wenn sich Pham Thi Hoai weigern mag, an Vietnam zu denken, so wird sie von der wechselvollen Geschichte des Landes doch immer wieder eingeholt – zumindest, was ihre literarischen Arbeiten betriftt. Die Erzählung, die sie im Haus der Kulturen der Welt vorstellte, belegt dies eindrücklich: Unter einer üppigen, kulinarischen Oberfläche verbirgt „Das Sonntagsmenü“ eine komplexe Mixtur von Kolonial- und Familiengeschichte. „Ich kann noch nicht auf deutsch schreiben“, erklärte Pham Thi Hoa. Zugleich erscheine es ihr sinnlos, sich auf vietnamesisch über Deutschland zu äußern. Demnach kommt als Sujet allein Vietnam in Frage – und kommen auch die Probleme ins Spiel, die einen Autor im Exil umtreiben: Für wen entstehen die Texte? Wer verlegt sie? Wie ist es um das Verhältnis zu den Autoren bestellt, die vor Ort geblieben sind?

Daß die es alles andere als einfach haben, bezeugt die Lesereihe im Haus der Kulturen fast zwangsweise. Vier der eingeladenen Autoren sagten ab – teils aus persönlichen, teils aus politischen Gründen. Duong Thu Huong, deren Lesung für den 16. Mai angekündigt war, erklärte in einem Brief: „Man kontrolliert auch weiterhin meine Post, beschlagnahmt Schriftstükke, hält Einladungen zurück“. Angesichts der Repressalien wollte die 1947 geborene Schriftstellerin keine Ausreisegenehmigung beantragen. Den Paß haben ihr die Behörden vor vier Jahren abgenommen, vor acht Jahren mußte sie sogar für einige Monate in Gefängnis, aus der Kommunistischen Partei war sie zu diesem Zeitpunkt bereits ausgeschlossen.

Dabei hat das Land am südchinesischen Meer durchaus Augenblicke der Perestroika erlebt: Mitte der achtziger Jahre, zehn Jahre nach der Vereinigung von Nord- und Südvietnam, beschlossen die Parteifunktionäre, von der Planwirtschaft abzurücken. Zugleich regten Intellektuelle und Schriftsteller einen kulturellen Öffnungsprozeß an, der sich unter anderem in einer Erneuerung literarischer Stile und Sujets äußerte. „Doi Moi“ lautete der Name für diese Strömung; ihr Ziel war es, mit den Formen des sozialistischen Realismus zu brechen. Mit dem 1950 bei Hanoi geborenen Nguyen Huy Thiep ist morgen abend einer der Protagonisten von „Doi Moi“ im Haus der Kulturen vertreten. 1988 hat der Autor den Erzählband „Der pensionierte General“ vorgelegt, es folgten Novellen wie „Flammendes Gold“ oder „Die Tugend“, in denen Nguyen Huy Thiep nationale Heldenlegenden gegen den Strich bürstete – und dafür mit dem Vorwurf der Nestbeschmutzung überzogen wurde.

Dieser Vorwurf ereilte auch Bao Ninh, dessen Lesung für diesen Freitag geplant war. Aus persönlichen Gründen mußte er absagen; an seiner Stelle liest der 1932 geborene Nguyen Qang Sang, der sich als Vize-Generalsekretär des vietnamesischen Schriftstellerverbandes für „Doi Moi“ stark machte. Aus Bao Ninhs 1991 veröffentlichtem Roman „Die Leiden des Krieges“ wird am Freitag dennoch vorgetragen, markiert der Text doch einen Tabubruch, insofern er sich aus nordvietnamesischer Sicht heraus den traumatischen Seiten des Krieges widmet. Bis zu Bao Ninhs Vorstoß war das undenkbar. Cristina Nord

„Neue Literatur aus Vietnam“: 13. Mai, 19 Uhr: Nguyen Huy Thiep. 14. Mai, 19 Uhr: Nguyen Qang Sang. 14. Mai, 20.30 Uhr: „... Und meine Hände umfassen ganz Vietnam“, Chansonabend mit Werken von Trinh Công Son, am Klavier: Bao Phuc. 15. Mai, 19 Uhr: „Vietnamesische Nacht“. Musik und Lyrik, unter anderem mit Nguyen Duy und dem Ensemble Ea Sola

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