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Märkte & Knäste: Dokumente zerebraler Wirrnis    ■ Von Joachim Frisch

Samstag früh auf dem Saseler Wochenmarkt. Hausfrau, Mitte 50: „Hätten Sie noch ein paar Bratenabschnitte für unseren Hund?“ Schinken-Johnny, Milchgesicht, kaum 30: „Ganz recht, die Dame, die Krusten sind das Beste am kalten Braten, herrlich würzig. Wenn nicht gerade Besuch da ist, kommen bei mir nur Abschnitte auf'n Abendbrottisch.“

Hausfrau kleinlaut: „Es ist wirklich für den Hund.“ Schinken-Johnny: „Neulich war hier so 'ne lütte Dirn, die hat gesacht: ,Wurstabschnitte fürn Hund bitte, aber ohne Leberwurst, davon kricht der Opa immer Sodbrennen.‘“ Er lacht unverschämt laut, während die Kundin zart errötet. Dann beugt er sich von seinem Wurstmobil zur Kundin hinunter und spricht in väterlichem Ton: „Entschuldigen Sie, gnädige Frau. Uralter Scherz, mach' ich jedesmal, wenn jemand Abschnitte will. Natürlich weiß ich, daß sie für'n Hund sind.“ Nun wendet er sich an eine junge Frau in der Schlange, die sich inzwischen hinter der Kundin gebildet hat, zeigt abfällig mit gestrecktem Daumen auf die Bratenabschnittskäuferin und kräht, daß es alle hören können: „Die hat gar keinen Hund.“

In besseren Zeiten, als Kohl noch herrschte, fand auf dem Saseler Wochenmarkt einmal eine Umfrage über im Norden lebende Pfälzer statt. Die auf Video gesammelten Antworten sind ein mahnendes Dokument der zerebralen Wirrnis unserer Zeit.

Der zottelbärtige Müsliman mit dem Ökogemüse, dessen Gesicht aussieht, als sei es aus einer biodynamischen Sellerieknolle geschnitzt und mit Schurwolle umrahmt, beugt sich vertrauensvoll zu uns rüber: „Ich muß Ihnen ganz ehrlich sagen, ich komm' außerhalb von Hamburch, ich lebe nämlich in Dithmarschen. Also kann ich zu diesem Thema nichts sagen.“ Ein Marktbesucher, Typ „Ich bin jetzt in der Finanzbranche“, verbindet Pragmatismus und Lebensart mit hanseatischer Toleranz: „Punkt eins: Erstma nix gegen Pfälzer. Punkt zwei: Deren Wein trink' ich gerne. Punkt drei: Wenn die schon mal hier sind, müssen wir mit denen kommunizieren, ob wir wollen oder nicht.“

Ein Kunde mit schwarzer Haut und grauer Jogginghose verweigert zunächst mangels Deutschkenntnis die Kooperation („versteh' nix“), zeigt sich dann interessiert („English? Much better!“) und ergreift schließlich die Flucht („Saumagen? I don't understand“) – ein Fall für die Ausländerbehörde. Ein amtmannsbreiter Marktbeschicker (etwa 4,5 Promille) assoziiert frei drauflos: „Pfalz? Radieschen, blau. Mit Kern. Äpfel. Wiä Altländä müschn abä unsä eigä Äfel väkaufn.“

So geht's zu auf dem Saseler Wochenmarkt, rauh, herzlos, debil. Ich ziehe es nach Beendigung meiner Recherchen vor, mich in den angrenzenden Aldi-, Penny- und Sparmärkten mit eingeschweißtem Aufschnitt zu versorgen, weil jene Dame ohne Hund mir bei Schinken-Johnny die letzten Abschnitte vor der Nase weggeschnappt hat. Außerdem weiß ich, daß die Wochenmarktwurst- und Schinkenbeschicker morgens um sechs, wenn die Welt noch in Dortmund ist, klammheimlich ihre angeblich so frische Wurst aus klebrigen Plastikhüllen schälen. Wer's nicht glaubt, der bleibe Freitag mal zwei Stunden länger auf und wandle anschließend über seinen feinen Wochenmarkt.

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