: Die Wiederkehr der Tugend
■ Wer zum Teufel ist Magath? Neuer Trainer, neue Einstellung, neues Wir-Gefühl: Gegen Schalke 04 sahen die Zuschauer eine völlig verwandelte Werderelf siegen
Morgen also nach München. In die Höhle jener zahnlosen Löwen also, die seit dem Ende der Winterpause nichts unversucht gelassen haben, Werder Bremen den Titel der grottenschlechtesten Rückrundenmannschaft streitig zu machen. Ein Gipfeltreffen des Horrors droht, Supernot gegen Megaelend, grausam, fürchterlich, ojeoje – wenn nicht zwischen dem elendig vergeigten „wichtigsten Spiel der Vereinsgeschichte“ am letzten Freitag gegen Frankfurt und der morgigen Reise ins Olympiastadion einiges passiert wäre, was zur Hoffnung Anlaß geben könnte.
Innerhalb einer Woche mutierte der schleifende Magier Magath zum abgeschliffenen Taschenspieler Felix, der im Fernsehsender „Premiere“ den Lafontaine gab und mit Söhnchen auf dem Arm dem Fußballvolk seinen Rücktritt vom Traineramt erläuterte. Mit Thomas Schaaf war schnell ein Nachfolger ernannt, dessen Führungsstil sich praktisch in jeder Hinsicht von den soldatischen Gepflogenheiten Magaths unterscheidet. Und schließlich war da noch das Nachholspiel gegen Schalke 04, das Werder völlig verdient 1:0 gewann und dabei Tugenden an den Tag legte, die man in dieser Mannschaft nicht mehr vermutet hatte.
Und so kam es am Dienstag, wie es nach den turbulenten letzten Wochen kommen mußte: Wohin man nach dem Schlußpfiff auch blickte, überall standen vor Glück flennende Heulsusen herum. Präsident Böhmert sprengte den Rasen, sein Vize Fischer näßte kräftig die Tribüne ein, Jens Todt ergoß sich ins Trikot seines Keepers Rost, und in der Ostkurve lagen sich die Fans in den Armen und tränkten sich gegenseitig ihre Kutten. Was war nur passiert in den 90 Minuten?
Zunächst: Ein Tor für Werder war gefallen. Wahrlich keine Selbstverständlichkeit in den letzten Monaten, wenn Werder Bremen am Spiel beteiligt war. Doch hoffnungsfroher als das bloße Resultat stimmte die Art und Weise, wie sich die Mannschaft über das gesamte Spiel präsentierte.
Als Andree Wiedener Mitte der 2. Halbzeit einen rekordverdächtigen 100-Meter-Lauf hinlegte, bloß um einen mäßigen Paß von Ailton von der Linie zu kratzen, um dann entkräftet den Ball ohne Sinn und Verstand irgendwohin zu pöhlen, bejubelte das Publikum diese vollkommen nutzlose Aktion wie eine fußballerische Offenbarung. Kämpfen, rackern, fighten – wie lange hatte Werder die adäquate Ausübung dieser Tugenden vermissen lassen. Und da sich nicht nur der überragende Wiedener, sondern offensichtlich das ganze Team plötzlich daran erinnert hatte, daß ein Spiel zumeist der gewinnt, der mehr läuft und die Zweikämpfe gewinnt, konnte der SV Werder mitsamt 32.500 entzückter Zuschauer einen ungefährdeten Sieg beklatschen.
Daß die Schalker ihrerseits immerhin 60 Minuten benötigten, um zu erkennen, daß auch im Weserstadion das Spielfeld nicht schon an der Mittellinie endete, daß zudem ihr Torwart Olli Reck nicht nur beim Kopfballtor durch Christoph Dabrowski zu erkennen gab, daß er seiner alten Mannschaft beim Versuch, einen Treffer zu erzielen, nicht im Wege stehen wollte – all das war vergessen, als der schwache Schiri Hermann Albrecht dem Spiel ein Ende bereitete. Grenzenloser Jubel überall. Das Stadion intonierte zum x-ten Mal „Steht auf, wenn ihr Bremer seid“. Und die, die Bremer waren, standen auf und heulten, was die Drüsen hergaben. Schon ist alles wieder gut bei Werder. Schon wird munter spekuliert, ob das zurückgetretene Präsidium nicht doch weiter machen soll und ob Schalke-Manager Assauer an seine alte Bremer Wirkungsstätte zurückkehren wird. Was dieser sich nach eigenem Bekunden durchaus vorstellen kann.
Und morgen also nach München, zum Gipfeltreffen. Wenn Werder dort anknüpft, wo sie gegen Schalke aufgehört haben, stehen die Chancen gut, die ohnehin mäßig erstrebenswerte Auszeichnung der schlechtesten Rückrundenmannschaft endgültig den Münchenern überlassen zu können. Sollte das nicht gelingen – die Tränensäcke aller Akteure sind in der Zwischenzeit sicherlich wieder gut gefüllt.
Franco Zotta
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