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Ein „Stillgstn der Ehrnfrmtion“

Die Kameraden unserer Jungs auf dem Balkan begingen im Olympiastadion anläßlich des Endes der Luftbrücke vor 50 Jahren ein Militärmusikfest der ganz besonderen Art  ■ Von Philipp Gessler

„So bewegend“ findet das Markus Eiching aus Freiburg: Man könne sich beinahe vorstellen, wie das früher mal war. Über dem Olympiastadion donnern riesige Transportflugzeuge der Luftstreitkräfte Deutschlands, Frankreichs, Großbritanniens und der USA – direkt über die Köpfe hinweg. Gott sei Dank, die Piloten schmeißen keine Bomben wie ihre Kameraden auf dem Balkan; aus den Ladeluken springen bloß Fallschirmspringer, die auf dem Spielfeld punktgenau landen. Und alle in diesem Stadion, gebaut von den Nazis, finden das toll.

Der Deutsche Bundeswehrverband und der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) haben aus Anlaß des 50. Jahrestages des Endes der Berlin-Blockade zum Militärmusikkonzert geladen, und Tausende, meist ältere Berliner sind herbeimarschiert. Der Abend senkt sich blutrot im Westen über die Stadt, die westlichen Tribünen sind bedeckt von riesigen Flaggen der Alliierten. Die Fallschirmspringer laufen über das Spielfeld und winken wie Fußballspieler vor dem Anpfiff. „Man sagt sich: 'Well done, this was a safe landing'“, kommentiert der Moderator, Hauptmann d. D. Helmut Jäger, zu sehen auf zwei Leinwänden neben der Bühne.

Die „Ehrenformation des Wachbataillons“ marschiert aufs Spielfeld, eingerahmt vom klingelnden Spiel von fünf Musikkorps der Bundeswehr. „Stillgstn“, brüllt ein Offizier, „Ehrnfrmtion, halt!“ Die Soldaten nehmen Haltung an. „Augen geradeee-aus, das Gewehr-über (Klatschen im Stadionrund), Aaach-tung, präsentiert-das Gewehr, zur Meldung: Augeeen-rechts (Klatschen), das Gewehr-über (Klatschen), das Gewehr-ab (Klatschen).“ Dann erklingt etwas, was der Radetzkymarsch von Johann Strauß (Vater) sein könnte – benannt nach dem österreichischen Feldmarschall, dessen Männer 1848 die Revolution in Italien zusammenschossen.

Es folgt die Flaggenparade (“heißt Flagge!“), der Leiter der Schöneberger Sängerknaben, Gerhard Hellwig, erinnert an die Blokkadezeit, der General-Clay-Marsch wird gespielt, dann hält Diepgen eine Rede – irgendwo da, wo Adolf Hitler 1936 die Olympischen Spiele eröffnet hat. Er erwähnt die „sowjetische Luftbrükke, nein: sowjetische Blockade“ vor 50 Jahren. „Dier frends“, richtet er sich an die Hunderte Luftbrücken-Veteranen, die im Stadion sind, „se Bärliners wont to express sair diep grätitjut for ju.“ Ein „Mobiles Einzapf-Kommando“ der Schultheiss-Brauerei verkauft Bier zwischen den Stuhlreihen.

Die Musikkorps auf dem Sportfeld spielen „Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern“ – komponiert 1939 und beliebt bei deutschen Marinesoldaten im Weltkrieg. Viele klatschen heftig beim „wohl beliebtesten deutschen Marsch“, wie Hauptmann Jäger tönt: „Alte Kameraden“.

Die Queen's Colour Squadron of the Royal Air Force aus Catterick in North-Yorkshire machen Übungen mit ihren Gewehr – unerwartet fallen Schüsse, die Zuschauer zucken zusammen, viele lachen verlegen. Cornelia Froboess singt mit den Schöneberger Sängerknaben „Pack die Badehose ein“ und „Es geht doch nüscht, nüscht, nüscht über Berlin“. Ein Musikkorps aus Frankreich tritt auf, die Sängerknaben singen die „Märkische Heide“ mit dem Refrain „Heil dir, mein Bandenburger Land“. Doch richtiger Jubel brandet erst auf, als die „US Air Force Band Europe“ Glenn Millers „In the mood“ spielt. „Zugabe, Zugabe“, fordern Hunderte. „Glory, glory, halleluja“ und dieser Marsch aus der Meister-Propper-Werbung kommen gut an.

Unter dem Programmpunkt „VI ,Berlin lebt'“ drehen Radrennfahrer ihre Runden, der „Sportpalast-Walzer“ wird gespielt, Tausende pfeifen mit. „Der Sportpalast ist leider abgerissen worden“, erklärt eine ältere Frau im roten Mantel und Trümmerfrau-Kopftuch ein paar Sitze nebenan. In dem Gebäude hielt Propagandaminister Joseph Goebbels 1943 seine „Wollt ihr den totalen Krieg“-Rede.

Zum Finale marschieren 400 Musiker-Soldaten aufs Sportfeld. Die Ehrenformation bildet auf der Außenbahn ein „Fakkelspalier“. Die Musikkorps spielen „Also sprach Zarathustra“ von Richard Strauss, zum Höhepunkt explodiert ein zehnminütiges Feuerwerk über der Sportstätte – manches erinnert ein wenig an die Bilder und Töne, die man in den letzten Wochen aus dem nächtlichen Belgrad zu sehen bekommt. Der Trommelwirbel der abziehenden Fackelträger erstirbt. Die Dame mit dem roten Mantel verabschiedet sich, sie hat die meiste Zeit mitgesungen. „Das Beste am Militär ist, wenn es in Frieden Musik machen kann“, sagt sie noch. Dann ist endlich Frieden.

„Es geht nüscht, nüscht, nüscht über Berlin“, singt Cornelia Froboess mit den Schöneberger Sängerknaben

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