: „Football ist im Gegensatz zu Fußball ein Familienevent“
■ Im Vordergrund des Ereignisses steht nicht der Sport, sondern das Erlebnis, meint der Sportökonom Gerhard Trosien
taz: Wenn wir die NFL Europe betrachten, sehen wir dann die Zukunft des europäischen Profisports?
Gerhard Trosien: Eher nicht. Gerade die NFL Europe ist par excellence ein Kunstprodukt, das aufgrund des Neuigkeitsbonus durchaus Anhänger bekommt. Ich glaube nicht, daß das die ganze Sportlandschaft in Deutschland verändern wird.
Beim Football funktioniert offensichtlich der Import des amerikanischen Entertainment-Sport-Entwurfs. Beim Versuch, klassische Sportarten wie Handball aufzupeppen, sieht es schon wieder ganz anders aus. Ist das deutsche Publikum zu konservativ?
Ja, ich will nicht ausschließen, daß die deutsche Mentalität eine andere ist als die amerikanische. Aber momentan integrieren selbst die Sportarten wie Fußball, die es nicht nötig hätten, immer mehr Teile, die aus der Event-Szene kommen. Da kommen Fallschirmspringer auf den Platz, und man soll nicht mehr nur 90 Minuten im Stadion bleiben, sondern drei Stunden. Aber diese Ereignisse werden nur angelagert, im Vordergrund bleibt weiterhin der Sport.
Liegt es daran, daß das Football-Publikum ein grundsätzlich anderes ist als das Fußball-Publikum?
Ja. Vereinfacht dargestellt, will das Publikum beim Football vor allem unterhalten werden, das Publikum beim Fußball ist mit dem Sport meist verbunden, spielt selbst im Verein oder in Freizeitmannschaften oder hat früher gespielt. Das ist bei American Football offenkundig nicht möglich.
Das Football-Publikum spielt selbst nicht Football, aber ist statistisch sehr jung und sportlich aktiv. Viele betreiben Trendsportarten, die aber ebenfalls ein starkes Inszenierungspotential beinhalten, wie Inline-Skaten, und schauen sich das Produkt Football an. Aber dabei bleibt offen, wie viele die Regeln eigentlich verstehen. Sie gehen hin, weil das Event spannungsgeladen ist. Ich kann mit der ganzen Familie drei oder vier Stunden hingehen, es ist farbenfroh, es gibt keine Gewalt in der Szene. Das hat Dienstleistungscharakter.
Wo kommt das Publikum her, wenn es nicht von anderen Sportveranstaltungen abgezogen wird?
So ausschließlich würde ich das nicht sehen, das ist kein komplett neues Publikum. Darunter sind viele, die enttäuscht sind von klassischen Sportveranstaltungen. Zum Fußball kann ich eigentlich nur in der männlichen Gruppe gehen, vielleicht noch mit meiner Frau, aber schon nicht mit den Kindern. Das ist kein Familienereignis, aber Football ist ein Familienevent. Ich will nicht in Gewaltsituationen kommen, aber ich will auch mehr erleben als nur 90 Minuten Fußball und eine lange An- und Abfahrt.
Warum hat die amerikanische NFL Berlin als einen von sechs europäischen Standorten ausgewählt?
Wenn man eine kurzfristige Amortisierung seiner Investitionen plant, kann man nur große Zentren nehmen. Welche Schwierigkeiten die NFL trotzdem immer noch hat, hat ja London gezeigt, wo das wieder abgeschafft wurde. Und Berlin, das ist klar, wird sich in seiner Sozialstruktur verändern, immer mehr zur Dienstleistungsstadt werden, und deren Bewohner wollen unterhalten werden.
Irgendwann haben wir dann auch die Regeln verstanden, können die Nuancen unterscheiden und sind noch stärker in die ganze Inszenierung eingebunden, und irgendwann können wir uns gar nicht mehr vorstellen, daß diese Sportart so spät in den 90ern in Deutschland implantiert wurde.
Interview: Thomas Winkler ‚/B‘ Gerhard Trosien ist gelernter Soziologe und Mitarbeiter des Deutschen Sportbundes (DSB). Er ist zugleich Lehrbeauftragter der Universität Heidelberg und arbeitet seit zehn Jahren zum Thema Globalisierung des Sports. Seit 1997 organisiert er das jährliche „Sportbusiness-Forum“ in Heidelberg und hat als Herausgeber u. a. veröffentlicht: „Globalisierung und Sport. Business – Entertainment – Trends“ und „Verkaufen die Medien die Sportwirklichkeit?“; beide erschienen beim Verlag Meyer & Meyer, Aachen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen