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Wauwau-Machen ist schwer

■ Was ist Kunst: 80 Jahre nach Duchamps Pissoir taugt diese Frage für talkshowig-locker-flockiges Entertainment

Ein abwechslungsreiches, kleines Zitate-Potpourri aus einer zweistündigen Podiumsdiskussion in der Kunsthalle. „Auch Mario Basler ist ein großer Künstler.“ „Dann wäre auch Hitler ein Künstler?“ „Irgendwie ist Albert Schweitzer ein Künstler.“ „... Rudi Dutschke ...Künstler.“ „... Ceaucescu ... Künstler?“ Wer uns diesen Fragenorkan eingebrockt hat, ist natürlich Joseph Beuys mit seinem erweiterten Kunstbegriff. Dieser wurde von Wulf Herzogenrath (Bremer Kunsthalle), Stephan Schmitt-Wulffen (Hamburger Kunstverein) und einer zahlreichen Zuhörerschaft an so ziemlich allem ausprobiert, was Rang und Namen hat. Fehlten eigentlich nur Rinderwahnsinns-Virus, Apache-Hubschrauber und Brustimplantate, obwohl die doch eigentlich auch ganz tolle Events und Performances hinlegen.

Seit etwa einem halben Jahr erprobt das „Künstlerhaus“ Kunstformen, die halb ernst, halb ironisch in Konkurrenz treten zu Kirche, Esoterik und Psychotherapie. Unter dem Logo „K.Ö.N.I.G., Kunst als Dienstleister“ gibt es zum Beispiel aufmunternde Einflüsterungen für Selbstmordgefährdete oder ein bißchen Ablenkung für die Gelangweilten im Wartezimmer der Angestelltenkammer. In striktem Gegensatz zu allen l'art-pour-l'art-Konzepten mißt sich diese Sorte Kunst an ihrem unmittelbaren Mehrwert für den Kunstkonsumenten. Die zwei Museumschefs waren geladen zu einer Debatte über diese freiwillige Selbstver-sklavung der Kunst. Weil die beiden das K.Ö.N.I.G.-Projekt offenbar nicht besonders gründlich kennen, diskutierten sie erstens über jedwede Form von Kunst, welche die engen Museumsmauern hinter sich läßt, und zweitens über Gott und die Welt. Und weil diese Welt postmodern geworden ist, müht man sich nicht mehr um Übereinstimmung, freut sich vielmehr über die Differenz möglichst buntscheckiger Thesen. Schmidt-Wulffen versucht's mal mit der These, das 19. Jahrhundert wäre erst um 1960 zu Ende gegangen, das 20. sei dafür komplett ausgefallen und das 21. würde jetzt beginnen, eben mit einer Kunst, die sich ins Leben hineinmischt. Als Beispiel nennt er Künstler, die irgendwie mitdiskutieren, wenn es um einen neuen Park in der Hamburger Hafenstraße geht, oder Künstler, die vier Monate durch kreativen Irrsinn den kafkaesken Rationalismus einer Behörde aufmischen. Für Herzogenrath dagegen läuten diese aktivistischen, verplauderten Formen keineswegs ein neues Zeitalter ein. Im Gegenteil. Er hält sie für einen gar nicht mal so brausend-starken Nachklang der Fluxus-Bewegung.

Vor allem aber geriet der Abend zu einem Lehrstück in Sachen Berufsehre. Der Kunstvereinschef rühmt die Institution Kunstverein und geiselt die Museen. Der Museumschef verteidigt seinen Laden. Und die Heerschar der anwesenden Künstler verbittet sich eine Deklassierung des Künstlers zu einem Zeitgeistpartikel. Schmidt-Wulffen: Nur die Kunstvereine seien noch in der Lage, eine Kunst zu präsentieren, die sich immer mehr in Aktionen, Gesprächen, Denkanstößen verflüchtigt. Herzogenrath: Sehr wohl finden die Museen Dokumentationsweisen für neue Kunstformen, allerdings mit 20 Jahren Verspätung, welche ganz einfach notwendig ist, um die Spreu vom Weizen zu trennen.

Auch Schmidt-Wulffen hat irgendwann einmal die These vom Verschwinden des Individuums gelernt. Infolgedessen sei jede Kunst Produkt des Zusammenwirkens von Kunstdiskurs, Markt, Museum. Doch die anwesenden Künstler beharrten auf dem Begriff des Eigenen, Authentischen, das ehrlich aus dem unvergesellschafteten Bauch heraus strömt. Beleg: ihre Unangepaßtheit. Doch just jene bezeichnete Herzogenrath als unverzichtbares Teil des Systems: „Nur wer bellt, hat Aussicht auf Erfolg.“ Aber wo gibt heute eigentlich noch ein neuartiges Wauwau. Auf derlei Podiumsdiskussionen jedenfalls nicht. bk

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