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Auf den Spuren von „Lucho“

Die großen Tage des kolumbianischen Radsports sind vorläufig vorbei, doch Schulen für den Nachwuchs sollen einen neuen Aufschwung bringen  ■   Aus Bogotá Knut Henkel

Radsport ist in Kolumbien nach dem Fußball die wichtigste Sportart. Doch seit den großen Tagen von Luis Alberto „Lucho“ Herrera ist es in Europa still geworden um die kolumbianischen Kletterkünstler. Das soll sich ändern: Herrera selbst will dem Nationalsport Numero dos wieder auf die Räder helfen. Der Supercampeón hat sich in der kleinen Stadt Cota vor den Toren Bogotás angesagt, und auf den Straßen rund um den Dorfplatz haben sich Hunderte von Radsportlern eingefunden, um mit ihrem Idol einige Runden zu drehen.

José Gutierrez ist einer von zahllosen kleinen Jungen, die gebannt darauf warten, ihr Idol zu erblicken. Stolz ist der Siebenjährige auf sein neues Trikot, das ihn als Mitglied der Radsportschule Funza ausweist. Leicht verloren wirkt er mit seinen derben Schuhen neben den profihaft ausgestatteten Älteren, die hochnäsig auf den kleinen Jungen mit dem alten schmutzigen Fahrrad herunterblicken. Doch seine Eltern, einfache Campesinos aus der Gegend, stärken ihm den Rücken für den großen Auftritt, seine erste Teilnahme an einem Radrennen.

Vielleicht fällt bei diesem 2. Festival des Fahrrads in Cota der Startschuß für eine große Karriere. Man weiß ja nie, meint Vater Gutierrez, der beinahe so aufgeregt ist wie sein Sprößling, dem unentwegt die Nase läuft, während er gebannt auf die Bühne starrt.

Festivals wie in Cota veranstaltet die Liga de Ciclismo der Provinz Cundinamarca derzeit in jedem größeren Ort. „Der Radsport hat einen schweren Einbruch hinter sich, und wir versuchen die Jugend mit den Veranstaltungen wieder an unseren Sport heranzuführen“, erklärt Jairo Monroy, technischer Berater der Liga und selbst ehemaliger Profifahrer. 23 Schulen gibt es mittlerweile in der Provinz, weitere 12 in der Hauptstadt Bogotá, und peu à peu wollen die Verantwortlichen an die goldenen Jahre der kolumbianischen Pedalhelden anknüpfen. Doch Jairo Monroy und dem pädagogischen Berater der Liga, Cesar Alvárez, geht es nicht allein um den Aufschwung im Radsport, sondern auch um die Erziehung des Nachwuchses. „Die Kinder und Jugendlichen sollen ihr Stadtviertel kennenlernen, etwas über dessen Struktur, Geschichte und Gegenwart lernen – die Stadt auf dem Fahrrad entdecken“, erklärt Alvaréz. In Cota steht der Austausch mit der dort ansässigen indigenen Gemeinde der Chibchas auf dem Programm, an deren Siedlung die Strecke vorbeiführt.

Als Galionsfigur der Kampagne hat sich niemand Geringeres als Luis Alberto „Lucho“ Herrera aufstellen lassen, der 1987 mit dem Gewinn der Spanien-Rundfahrt den größten Erfolg des kolumbianischen Radsports landete und unter dem Jubel seiner Fans nun die Bühne betritt. Sehr zurückhaltend gibt der mittlerweile 38jährige Auskunft über sein Engagement für den Nachwuchs und die Zukunft des kolumbianischen Radsports. Im Mittelpunkt zu stehen, scheint dem Idol nicht so recht zu gefallen, sehr viel wohler fühlt er sich an der Spitze des Feldes auf seinem Rennrad.

Um die Zukunft seines Sports steht es nicht zum Besten. Gerade sieben Kolumbianer stehen noch in Europa unter Vertrag, während es in den besten Jahren 20 bis 30 Fahrer waren. „Die finanzielle Situation des kolumbianischen Verbandes ist bescheiden. Wir können es uns nicht wie früher leisten, eine Nationalmannschaft aufzustellen, obgleich es nach wie vor exzellente Athleten in Kolumbien gibt“, erklärt Alfredo Guevara, Pressechef des Radsportverbandes.

Dennoch gibt es Hoffnung. Ein Kolumbianer, der in Europa auf sich aufmerksam machte, ist Santiago Botero. Der 26jährige, der in Kolumbien nur El Santi („der Heilige“) Botero genannt wird, ist bei dem spanischen Kelme-Rennstall unter Vertrag und hat sich in seinem dritten Jahr mit ganz unkolumbianischen Tugenden in Szene gesetzt. Botero ist dort stark, wo die Kolumbianer traditionell Schwächen haben – auf den flachen Teilstücken. Seine Klasse ließ Botero beim Rennen Paris – Nizza, wo er Dritter wurde, aufblitzen. Für die Trainerlegende Vicente Belda ist Botero schlicht „der kolumbianische Radsport in Europa“, der einzige würdige Vertreter der ehemals ruhmreichen Pedalisten. Die nächste Prüfung für den aus Medellin stammenden Hoffnungsträger ist die Tour de France. Den Giro d'Italia, ursprünglich fest ins Auge gefaßt, mußte Botero nach einem Trainingsunfall abhaken. Für „Lucho“ Herrera ist Botero zwar der kompletteste kolumbianische Fahrer, allerdings nicht der einzige, der beim Giro oder der Tour auf sich aufmerksam machen könnte. Iván Parra und Victor Hugo Peña, beide beim Vitalicio-Rennstall unter Vertrag, sind dem Altmeister zufolge ebenfalls für eine Überraschung gut, Hernán Buenahora sowieso. Alfredo Guevara setzt seine Hoffnungen für dieses Jahr auch auf einen der ältereren kolumbianischen Fahrer: José Jaime González, genannt „Chepe“, der letztes Jahr die Bergwertung des Giro für sich entschied und auch dieses Jahr mit dem Sieg auf der 5. Giro-Etappe seine Klasse bewies.

„Die Zukunft hingegen gehört Marlon Pérez, dem derzeitigen Jugendweltmeister. Wenn er dabei bleibt, und es sieht so aus, dann kann er auch in Europa Fuß fassen“, ist sich der 45jährige Guevara sicher. Den Sprung nach Europa hat Pérez noch nicht geschafft. Derzeit sammelt der beim kolumbianischen Club Orgullo Paisa fahrende Mädchenschwarm Erfahrung auf den Rundfahrten in der Nachbarschaft. Dort, in Uruguay, Chile oder Mexiko, hat sich auch „Lucho“ Herrera seine ersten Lorbeeren verdient.

„El jardinerito“, das Gärtnerlein, wie Herrera wegen seiner Vorliebe für Blumen seit seiner Jugend genannt wird, ist in seinem kanariengelben Trainingsanzug mittlerweile im Ziel von Cota angekommen. Und auch der kleine José hat die Ziellinie passiert und ist von seinen stolzen Eltern in Empfang genommen worden. Guillermo Beltran, Trainer der Radsportschule Fonza, ist zufrieden mit dem kleinen Burschen: „Wer weiß, vielleicht hält er dem Radsport die Stange und wird mal ein Großer.“

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