Antworten auf Letzte Fragen

Balla-Balla ... Brumm-Brumm ... ata-ata ... usw. Warum spricht man mit Kindern wie mit Idioten – weil sie Idioten sind oder damit sie zu Idioten werden? (15. 5. 99)

Das Grundproblem, das durch dieses weltweite Phänomen sichtbar wird, ist folgendes Dilemma: Die Erwachsenen(welt) geht von der (mittelalterlichen) Annahme aus, daß sich das kindliche Gehirn genau wie die äußere Hülle nach dem bekannten Step-by-step-Prinzip entwickelt. Dies wäre nicht ganz so gravierend grauenvoll, wenn es nicht noch schlimmer kommen würde: Um Überforderungen (gut gemeint, aber schlecht ausgeführt) des Kindes durch den Erwachsenen zu vermeiden, geht man von einer langsameren Entwicklung des Gehirns aus. Wenn wir statt dessen Kinder wie „Subjekte ihres eigenen Werdens – und nicht als bloße Objekte von Konditionierung“ (Hagemann-White) – behandeln würden, müßten wir Erwachsenen uns eingestehen, daß Kinder bereits fix und fertig auf die Welt kommen und es schlicht und ergreifend nicht nötig haben, sich auf das Niveau von retardierten (oder retardierenden – da ist sich die Wissenschaft noch nicht einig) Erwachsenen herabzulassen, die – angesichts von Kleinkindern – oben beschriebene Zusammenhänge so weit verinnerlicht haben, daß sie sich wie Idioten aufführen. Damit wäre auch die Frage beantwortet: Weder sind die Kinder die Idioten, noch sollen sie zu solchen gemacht werden. Wir – die Erwachsenen – sind es! Christine Hamer, Hamburg

Daß Kinder, mit denen solchermaßen gesprochen wird, Idioten sind oder ob sie zu Idioten werden, wage ich nicht zu unterstellen. Letztlich beruht ein solches Sprachverhalten aber auf zwei ganz menschlichen Denk(fehl)leistungen. Erstens traut man einem Kind nicht zu, komplexe Wort- und Satzstrukturen (die das Deutsche nun einmal hat) zu verstehen, da man selbst sie noch nicht alle begriffen hat, geschweige denn in der Lage wäre, sie anzuwenden. Zweitens besitzt man die Freundlichkeit, es dem anderen für die Zukunft so leicht wie möglich zu machen, die allgegenwärtige Bevormundung – wie man selbst – freudig zu ertragen, indem man ihm die Entwicklung sprachlicher Fähigkeiten als Fundament kritischen Denkens vorenthält. Wer möchte seine Kinder heute schon zur Schwermut erziehen? Florian Walzel, Darmstadt

Wie lang ist ein kurzer Spaziergang? (8. 5. 99)

In etwa so lang wie der Gang ums Quadrat. Tewes Wischmann, Heidelberg

Aus dem Haus, durch den Garten (Kohlmeisen), die Einfahrt runter, kurz rechts und gleich wieder links in die Tietzestraße (Grünspecht, Blaumeisen), nächste links wieder in die Wildenbruchstraße (Amsel, Zaunkönig), hinter den Reihenhäusern entlang bis zum Nonnenstift (Ringeltauben), die kleine Treppe hoch zur Adalbertstraße (Rotkehlchen), dann die nächste links in den Otto-Wallach-Weg bis zur Joachimstraße (Dompfaffen), am Ende die Treppe hinunter und schräg gegenüber in den Feldweg 50 hinein (Heckenbraunelle), durch die Kleingärten in das Düpenautal (erneut Amseln, jetzt mit Abendlied; Ringeltauben, schon dösend) bis zur Hauptstraße und wieder nach Hause (Nachtigall). Rainer Loose, Hamburg

Kurz(weilig) genug, um dem Befragten nicht lang(weilig) zu erscheinen. Wolfgang Lewald, Hamburg

Ein kurzer Spaziergang geht höchstens um vier Ecken! Spätestens wenn man nach der vierten Ecke noch mal eben um die nächste Ecke gucken will, ist es mit dem kurzen Spaziergang vorbei. Bernt M., Hamburg

1. Er hört auf, bevor die Diskussion über kurze und lange Spaziergänge beginnt.

2. So lang, daß man sich noch lachend was erzählt, während man die Treppen zur Wohnung in die dritte Etage hinaufsteigt. Friederike Koch, Heidelberg

Kurzer Spaziergang!? Eine Wortpaarung, wohl aus Verlegenheit oder Unwissenheit entstanden. Erst mal setzt sich ja schon der gemeine „Spaziergang“ von seinem Bruder, der „Wanderung“, dadurch ab, daß er kürzer sein möchte. Dies bezieht sich auf die Wegstrecke, die es per pedes zurückzulegen gilt. Zeit spielt hier nicht die vorrangige Rolle. Da unklar bleibt, ob mit „kurzem Spaziergang“ eine kurzzeitige Wanderung (schnellen Schrittes) gemeint ist oder ein wenige hundert Meter betragender Spaziergang (der bei Schneckentempo auch so sein Weilchen dauern kann), sollte dies zwischen den Beteiligten vorher abgeklärt werden. In unter schwankendem Miteinander-Wohlgefühl leidenden Paarbeziehungen sollten verschiedene Strecken im gemeinsamen Stadtplan markiert, Schrittempo und Schrittlänge geeicht werden. Es empfiehlt sich die Anschaffung eines tragbaren Metronoms und eines Gliedermeßstabes. Tim Nino Lensch, Hannover

Schafft die Liebe die Verliebten, oder ist es eher andersrum? (8. 5. 99)

Zufällig lese ich z. Zt. den Roman „Die Entdeckung des Himmels“ von Harry Mulisch und just auf Seite ??? (habe ich gerade nicht parat) springt mir diese Frage auch ins Auge. Benno Weber, Erfurt

Der erste Teil der Frage führt mich sofort zur Vorfrage: Ist die Liebe ein Subjekt, das handeln – also Etwas erschaffen kann? Nein, es sei denn, wir begeben uns in die Welt der Mythologie (Amor, Eros, Aphrodite ...). Allerdings besitzt das Wort „Liebe“ – als Be-Griff in der „Welt als Wille und Vorstellung“ (Schopenhauer) – die Macht, mit Hilfe vorhandener Sehnsüchte und diffuser Assoziationen bei vielen Individuen den Wunsch und Willen nach Verliebtheit zu erzeugen! Und so wird dann die erst“beste“ Gelegenheit genutzt, um in diesen Zustand zu verfallen. In diesem Sinne lautet meine Antwort also: „Ja.“ Eine interessante Folgefrage ist, welche Menschen und Interessengruppen ihre Macht benutzen bzw. benutzt haben, um dem Begriff „Liebe“ diese Potenz zu verleihen, und aus welchem Grund! Kurz: Wer profitiert davon? (Neben Schlager- und FilmproduzentInnen sollte man auch nicht PolitikerInnen, Kirchenmänner und –frauen vergessen!) Die Umkehrung Ihrer Frage verdient trotzdem gesonderte Behandlung, denn es handelt sich um SchaffensPROZESSE! Ist also die Verliebtheit erst einmal eingetreten, so be-müht (!) sich das Individuum, das diffuse Ideal der (romantischen) Liebe zu erschaffen. Die damit bei den meisten Menschen verknüpften Attribute wie z. B. „groß“ und „ewig“ stehen dem jedoch entgegen. Zweifel und Ängste werden zum ständigen Wegbegleiter. Meine Antwort zum zweiten Teil lautet also: „Eher nicht.“ Um nun aber nicht als pessimistischer Liebestöter verkannt zu werden, will ich noch folgendes zu Protokoll geben: Mein Vorschlag für eine bewährte Alternative ist es, zu lieben! Während ich mich bisher mit Definitionen zurückgehalten habe, will ich es hier wagen: lieben (Verb, Tätigkeit!): alle Handlungen, die die Bejahung des geliebten Objekts durch das liebende Subjekt zum Ausdruck bringen. Man beachte, daß diese Tätigkeit, unabhängig von Erwiderung (so kann man etwa auch sein Auto lieben.), eine Form der Selbstbefriedigung des handelnden Subjekts (das Handeln selbst erfreut mich), fundamental abhängig von den dem Subjekt bekannten Eigenschaften des Objekts ist. Da sich sowohl die Eigenschaften als auch die Kenntnis über diese im Laufe der Zeit ändern, so wird sich dies auch im Lieben widerspiegeln. (Das Auto entpuppt sich z. B. als Rostlaube und wird deshalb nicht mehr gepflegt. – Aber vielleicht werden auch besondere Anstrengungen unternommen, dem Wagen ein „zweites Leben“ zu ermöglichen!) Daher ist lieben auch kein (Tausch-)Geschäft, das der Ausgewogenheit bedarf – im Gegensatz zur landläufigen Vorstellung von Liebe(sbeziehungen) zwischen Menschen! Es stellt allerdings eine besondere Bereicherung dar, wenn eine geliebte Person positiv auf meine Handlungen reagiert: im Idealfall also ebenfalls liebt – mich, ihre Arbeit, ihre Mutter, ihr Auto ... So ist das Lieben von der vorherrschenden Vorstellung der Liebe klar zu unterscheiden. Es bedarf eines fundamentalen Bewußtseins- und Wertewandels jedes einzelnen, um das Lieben der Liebe vorzuziehen. Wolfgang Lewald, Hamburg

Verliebte schaffen Liebe, weil das Gefühl, das im allgemeinen „Liebe“ genannt wird, auf biochemische bzw. hormonelle Vorgänge des menschlichen Organismus zurückzuführen ist. Alle weiteren Interpretationen und Konnotationen, die allgemein mit dem Begriff „Liebe“ verbunden werden, können in ihrer Entstehung und Funktion sowohl historisch als auch kulturell-anthropologisch hergeleitet werden. Im Mittelalter waren auf ständischer Machtpolitik beruhende Pflichtehen gesellschaftlich akzeptierte Realität. Dennoch ist die zeitgenössische Literatur von Romanzen durchzogen, die aber größtenteils mit Loyalitätskonflikten für die Akteure verbunden waren. Hierin manifestierten sich die christlichen Moralvorstellungen des mittelalterlichen Europa. Die bürgerliche Romantik nahm dieses Motiv wieder auf. Augenfällig dabei ist, daß die romantische Bewegung durch den Irrationalismus, den Rückzug ins Private und die bewußte Ablehnung der Aufklärung diente. Im Kapitalismus, der Isolation und Konkurrenz als beherrschende Elemente des Lebens beinhaltet, wurde der Rückzug ins Private bzw. die „Liebe“ die letzte Zuflucht in die Zwischenmenschlichkeit. Gleichzeitig diente es zur Ruhigstellung gegenüber den sozialen und damit politischen Mißständen. Das Konzept der Familie als „Keimzelle des Staates“ wurde als Legitimation des patriarchalisch strukturierten Systems instrumentalisiert. Das Gefühl, das als „Liebe“ bezeichnet wird, wird von den „Liebenden“ – biologisch bedingt – als durchaus real empfunden. Der Mensch kann anscheinend jedoch nicht akzeptieren, biologisch zu „funktionieren“ wie jedes andere Lebewesen auch, sondern sucht nach einer höheren Legitimation. Dabei fügt er/sie sich widerstandslos in das von den Massenmedien propagierte Verhaltensmuster ein, das soziale Sicherheit und individuelle Glückseligkeit verheißt. Die von Musik- und Filmindustrie auf den Markt geworfene, universell übertragbare und immer nach demselben Schema produzierte Massenware wird von den Verliebten als vermeintlich besonders und genau auf ihre Gefühlslage zugeschnitten empfunden. Letztgenanntes Beispiel aus der alltäglichen Praxis legt somit eindrucksvoll dar, daß Verliebte sich ihre individuelle „Liebe“ selbst schaffen. Christine Tuschen und Hendrik Burghardt, Oldenburg