Wortlos in ein Glück

„Vielleicht ist es ein Versuch, einer Oberfläche ein Gefühl zu geben“: Die Berliner Elektronik-Band To Rococo Rot hat mit „The Amateur View“ ein Album gemacht, das mehr als nur schöner Schein ist  ■ Von Thomas Winkler

Instrumentalmusik. Reden macht alles kaputt. Schweigen. Die neue Platte von To Rococo Rot hören. Und weiter schweigen. Wortlos in ein Glück. Oder auch ein anderes. Vielleicht heißt „The Amateur View“ so, wie sie heißt, weil es darum geht, einen neuen, unverbrauchten Blick zu finden. Oder exakter: ein neues Hören für die Töne, das dann den Weg frei macht für den neuen Blick auf vertraute Dinge.

„Wenn man so eine Musik um sich hat“, schlägt Stefan Schneider vor, das rheinische Drittel des Trios aus Berlin und Düsseldorf, „bringt das vielleicht andere Aufmerksamkeiten hervor, setzt das Energien frei, um sich auf andere Sachen zu konzentrieren.“ Mancher Konsument habe ihm erzählt, seine Musik diene als Untermalung des Arbeitsalltags. Das macht ihn ein wenig stolz. Sogar das böse Wort von der „Büromusik“ bringt er ins Spiel. Aber: „Es ist ja nicht so, daß man im Büro kein Gefühl hätte.“

Es ist das alte Problem mit der Signifikanz, als hätte vor allem nur das sprachliche Zeichen einen emotionalen Wert. Als wäre nicht die Musik in erster Linie Transporteur von Gefühlsausdruck. „Absolute Leere“, sagt Schneider, „das gibt es nicht“, auch nicht in ihrer Musik, „und das ist auch nicht das Motiv.“ Das musikalische Zeichen darf nicht nur, hier bei To Rococo Rot muß es sogar für sich allein stehen.

All dies sind Ausschnitte aus einem Interview, das beherrscht war von Versuchen, in einer dem Sprechen verfallenen Umgebung dem eigenen sprachlosen Schaffen einen Sinn zu geben, eine Aufgabe. Auf jeden Fall etwas, das darüber hinausgeht, nur schöner Schein zu sein. „Musik soll gebraucht werden“, sagt Ronald Lippok, zusammen mit seinem Bruder Robert der Rest von To Rococo Rot, „das ist hochwillkommen.“ Bleibt die Frage: Gebrauchen für was? Ein Track trägt den Titel „Die Dinge des Lebens“.

Die Antwort soll wohl sein: Zur Beschallung eben dieses, des alltäglichen Lebens. „Wir zielen nicht darauf ab, bestimmte Gefühle zu erzeugen“, sagt Ronald, denn die Musik von To Rococo Rot sei „von alltäglichen Dingen geprägt und inspiriert und gehört auch in den Alltag, während andere elektronische Musik oft eine Gegenwelt entwirft, ein Fluchtuniversum anbietet.“

Das ist nicht als Vorwurf gemeint. Denn der könnte auch Tarwater treffen, Ronald Lippoks zweiten Bandzusammenhang. Diesen betreibt er zusammen mit Bernd Jestram, einem jener alten Mitstreiter aus den Zeiten der Lippoks bei den legendären Ostberliner Experimentialisten Ornament & Verbrechen.

Tarwater benutzen Gedichte, alte Songlyrics oder auch wissenschaftliche Texte, auf jeden Fall Material mit einer hohen Signifikanz. Das wird in der eindeutigen Absicht umgesetzt, den Zuhörer in die melancholische Stimmung in einer Bar kurz vor dem Morgengrauen zu versetzen. Von solchen Versuchungen ist die Musik von To Rococo Rot jedoch weitgehend frei. So sahen sie sich oft „dem Vorwurf ausgesetzt, daß die Seele fehlt“, so Ronald, dabei sei doch auch Charlie Parker Instrumentalmusik, aber dem würde niemand Inhaltlosigkeit vorwerfen oder gar, unpolitisch und ohne Aussage zu sein. „Wir empfinden unsere Musik nicht als Muzak“, sagt Ronald. „Es ist nicht nur Oberfläche“, sagt Stefan, „vielleicht ist es der Versuch, einer Oberfläche ein Gefühl oder Inhalt zu geben.“ Und Robert sagt dazu nur soviel: „Wir haben kein bestimmtes Gefühl in die Musik gegeben.“

Stefan Schneider wiederum meint, man habe aber doch „eine bestimmte Atmosphäre im Sinn, die man bei den Stücken erreichen will“. Zwar arbeiten To Rococo Rot auch als Band, spielen auch mal ein Instrument. Die Tracks aber entstehen am Rechner. So wird Emotion nicht in einem klassisch verstandenen künstlerischen Prozeß erschaffen, der eine Inspiration zielgerichtet umsetzt, sondern eher als Hörbarmachung einer gerade herrschenden Stimmung. „Robert arbeitet zum Beispiel lieber vormittags bei Sonnenlicht“, erzählt Stefan, „und so was bildet sich auch in der Musik ab.“

Was immerhin erklären würde, warum die neue Platte so unglaublich entspannt klingt, so souverän, ja fast schon einschläfernd. Während das selbstbetitelte Debut und auch dessen Nachfolger „Veiculo“ des öfteren mit atonalen Samples und unerwarteten Geräuschen irritierten, fließt „The Amateur View“ wie aus einem einzigen, schwelgerischen Füllhorn. Selbst grundsätzlich widerborstige Klänge schmiegen sich wie verliebt in den Zusammenhang, der trotzdem niemals anbiedernd oder gar Mainstream wird.

Man sei sowieso eher eine Popband, sagt Ronald, als ein Avantgarde-Projekt, und auch andere gern benutzte Labels wie „Krautrock“ oder „Postrock“ treffen es schon lange nicht mehr: Die Musik von To Rococo Rot läßt sich nur schwer an einem bestimmten Punkt definitiv festzurren.

Vielleicht ist diese Musik auf der Suche nach Musik, die gemacht würde, gäbe es keine technischen Beschränkungen mehr. Musik, die erklingen würde, könnte man Ideen hörbar machen.

Diesen Gedanken, „genau das umsetzen zu können, was ich im Kopf habe“, findet Ronald „interessant“, sein Bruder eher nicht. „Für mich ist immer das Feedback vom Gerät wichtig“, sagt Robert und meint damit nicht die gute alte Rockrückkopplung, sondern die Kommunikation mit der Technik. „Man hat eine vage Vorstellung von Sound“, beschreibt Stefan den Prozeß, „und versucht den zusammen mit dem Gerät zu erreichen. Oft kommt man dabei vom Weg ab und woanders raus. Dieser Moment des Sichselbstüberraschens, der ist ziemlich wichtig.“

Ronald nennt das „die Ablenkungen, Irrwege, wenn das Ziel gebrochen wird“, erzählt aber auch von der Frustration nach manchen Träumen, in denen er Musik träumte, ohne sie, oder nicht einmal eine Erinnerung an sie, festhalten zu können.

Trotzdem, man kann sich gut vorstellen, daß die Musik von To Rococo Rot ein zum Klingen gebrachter Traum sei. Etwas Neues, das entsteht aus den Schatten der Realität, ohne daß die Verknüpfungen so einfach zurückzuverfolgen wären wie bei klassischem Zitatpop. So taucht man dann doch ein in den fremden Kosmos, sucht nach dem Ursprung der einzelnen Geräusche, forscht den Verästelungen des Rhythmus nach, spaziert auf den watteweichen, flächigen Samples, schließt die Augen. Wenn „The Amateur View“ dann zu Ende ist, wenn die Musik aussetzt, scheint das eigene Herz plötzlich falsch zu schlagen. Es hat den Rhythmus von To Rococo Rot angenommen.

To Rococo Rot: „The Amateur View“ (City Slang/EFA) Record-Release-Party mit Live-Auftritt heute ab 21 Uhr im WMF, Johannisstraße 19, Mitte