Kurz Ding will Weile haben

■ Reuben Wilson kann selbst erschlagend leere Säle in Atmosphäre tauchen

Die Leere war schier erschlagend als der einsame Schreiber am Dienstag das Moments betrat. Knapp zwanzig Zahlende hatten sich versammelt, um Reuben Wilson, dem großen alten Mann der Hammond-Orgel, zuzuhören.

Vorher war zu erleben, was das Musikgeschäft aus einem talentierten jungen Musiker machen kann. Xaver Fischer aus Düsseldorf, so belehrt uns seine Plattenfirma, wurde bereits 1990 mit dem „Jugend jazzt“-Förderpreis ausgezeichnet, dem später der „Jazzförderpreis Düsseldorf '96“ folgte. Er musizierte als Studio- und Gastmusiker mit Stereolab, Loophole, den Supremes, Stefan Raab, Birth Control, Smoke City, Point Blanc und einer Reihe anderer Arbeitgeber.

Die Lust an der Herstellung von etwas Eigenem ist ihm darob offenbar nicht vergangen. Allerdings war das, was Fischer mit seinem Trio anstellte – laut Programm: Acid Jazz –, genau die perfekt gespielte und aalglatte Mucke, die zwar als musikalische Unterlage einer amerikanischen Fernsehserie der späten Siebziger getaugt hätte. Doch in den Weiten des leeren Moments konnte sie nicht viel ausrichten.

Bei Reuben Wilson jedenfalls sah das schon etwas anders aus. Der hat in den letzten dreißig Jahren mit seiner Hammond B-3 so viele Clubs und unter ihnen sicher auch einige der übleren von innen gesehen, daß ihn nichts mehr so leicht erschüttern kann. Eineinhalb Stunden lang spielte er mit einer handverlesenen Band aus lauter virtuosen Jungspunden (woher diese ganzen Leute immer wieder kommen?!) Funk. Allerdings nicht diesen harten und nervös knatternden, sondern eher die entspannte Variante. Dies serviert auf der imposanten Hammond-Orgel mit sichtlich rotierendem, stufenlos steuerbarem Vibrato-Turm ein paar Meter hinter Wilson.

Routiniert schöpfte der Mann, dem seine 64 Jahre definitiv nicht anzusehen sind, aus einem umfangreichen, zum nicht gerade kleineren Teil selbstkomponierten Repertoire. Und es gelingt ihm das, wofür es beim Xaver-Fischer-Trio nicht gereicht hat. Atmosphäre, Szenenapplaus, sacht angedeutete Euphorie bei den knapp zwanzig Hörenden. Der Mann sitzt lächelnd an seiner Orgel. Er weiß, daß auch diese Zeiten vorbeigehen werden, genau wie es mit den guten geschah. Das war schon damals so, als er bei Blue Note wegweisende Platten machte, die dann, Jahrzehnte später von einer Generation von Musikern wie „US3“ oder „Nas“ ausgegraben und gesampelt wurden, was ihm den Einstieg in einen zweiten Künstlerfrühling verschaffte. Deshalb läßt er sich nicht irre machen, weil er weiß, daß sie doch irgendwann wieder bei ihm auf der Matte stehen werden. Andreas Schnell