: Im Namen der Rotze
Schweineorgel und Slide-Blues-Krach auf Kopfsteinpflaster: Warum Heidelberg wie Monterey ist und die Band Mucus 2 die Hoffnung des Rock 'n' Roll ■ Von Jenni Zylka
Nichts gegen schöne, kleine, kopfsteingepflasterte Gäßchen, in denen amerikanische Touristen knipsen. Nichts gegen Studibuden und Neckargeflüster. Aber ist Heidelberg die Stadt, in der der Rhythm 'n' Blues ein ganz modernes und höchst lebendiges Wild Child geboren hat? Es ist.
Mucus 2 heißt die Band, die einem den Glauben an „Unbedingt live angucken!“ mit einem rhythmisch-runden Zigarettenrauchkringel zurückgeben kann. „Wir sind alle starke Raucher“, sagt Sänger und Gitarrist Sad Rockets und kämpft beim Interview mit einem Kater. Angeblich „dem ersten seit langem“. Und um im HNO-Bereich zu bleiben: „Mucus ist der wissenschaftliche Fachausdruck für Rotze. Daher kommen auch die ganzen Schnupfenmedikamente-Namen, Mucosolvan und so.“ Rotze 2 nannten sie sich also, als Sad Rockets alias Andrew vor drei Jahren aus dem kalifornischen Monterey nach Heidelberg kam und dort, statt anständig zu studieren, ein Straßenmusikduo gründete. „Monterey ist irgendwie wie Heidelberg“, sagt Rockets, „überschaubar und lebt von Touristen.“
Darum gefiel es ihm auch gleich, und der heute 25jährige knüpfte fleißig Kontakte zu lokalen Musikfans und Musikern, die „vorher eigentlich nicht in nennenswerten Bands“ aktiv waren. Banale Sätze wie „Wir wollten die Musik machen, die wir selber gerne hören“ oder „Wir haben alle verschiedene musikalische Vorlieben, aber wir sind ziemlich aufgeschlossen“ erklären jedoch nur mangelhaft, was dann passiert ist. Es geht um den Sound. Und der balanciert die Aussage unprätentiös auf groovy Beats, satter Schweineorgel, Slide-Blues-Krach-Gitarren und Rockets Geschrei. Jon Spencer, die Stooges und Sonics standen wohl ein bißchen Pate.
Nach Eigenaussage legt man „auf die Texte keinen Wert. Rhythmik und Farbe des Gesangs sind wichtiger als die Inhalte.“ Sagt der Sänger, der neben perfektem Deutsch auch noch andere Sprachen spricht. „Klar geht es in ein paar Stücken um Boy-meets-girl-Geschichten, aber eigentlich ist es nur ein weiteres Klangelement.“ Darum ist dieser moderne, dreckige Mucus-2-Rock-'n'-Blues-'n'-Roll auch so cool – weil man sich nicht über piefige deutsche Akzente in den Worten ärgern muß.
„In Amerika hätten wir bestimmt nicht den Erfolg gehabt. Es gibt da einfach zu viele Bands“, vermutet Sad Rockets. Kann sein. Doch hier hat der Heidelberg-Monterey-Mix fast einen Exotenbonus. „Es läuft alles recht gut gerade“, gibt Rockets zu, nur: „Ich muß den Angry young man auf der Bühne ehrlich gesagt ein bißchen faken.“ Normalerweise wirkt er nämlich eher freundlich, höflich und studentisch. Aber schützt einen das vor Rock 'n' Roll, fragen wir mit anderen ehemaligen Kids aus gutem Hause. Und war Mick Jagger nicht auf einer Kunstschule? Es scheint ohnehin gehupft wie gesprungen, ob die Band deutsch, amerikanisch, wohlhabend oder zum Verlieren geboren ist – sie scheißen ohnehin auf klassische Rock-'n'-Roll-Historie und schaffen sich ihre eigene Authentizität.
Daß ihr gerade erschienenes Album „Excitation!“ es geschafft hat, die Garagen-Power der Band auf eine Scheibe zu pressen, ist die Chance für die mehr oder weniger Angry young and old listeners, Mucus 2 mit nach Hause zu nehmen. Und sie dort so laut zu hören, daß durch die Vibrationen ein paar alte Platten aus dem Regal fallen und mal wieder gespielt werden wollen. „Ich kann mir kaum vorstellen, berühmt zu werden“, sagt Rockets, und es klingt ehrlich. Aber wahrscheinlich hat er sogar recht – zu wenig Jugendszenekompatibilität kann auch ein Qualitätsmerkmal sein. „Daß wir eine Platte gemacht haben, sehe ich als Gelegenheit, die nächste zu machen, die dann absolut anders wird“, überlegt er und will damit schon wieder in keine Schublade. Dabei gäbe es doch so viele: Vielleicht gehören Mucus 2 zu einer neuen Generation von Popstars, eine Post-Oasis-Clique von netten, gebildeten Sleaze-Rockern mit Bafög und Koteletten statt Sex, Drugs und so weiter. Immerhin ist die Hälfte der Band in festen Händen und gibt das sogar zu! Doch dann rinnt dem Mucus-Frontman doch noch ein Trash-Rock-Standardspruch flüssig und ehrlich von den Lippen: „Mein Frühstück sitzt vor mir: Kaffee und Zigaretten.“
Tour: 28. 5. Weinheim, 2. 6. München, 3. 6. Leipzig, 4. 6. Berlin, 5. 6. Hamburg, 24. 7. Ortrup Festival, 31. 7. Ulm Festival, 6. 8. Dortmund FZW Festival, 13. 8. Stemwede Festival, 19. 8. Köln
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