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Jetzt paßt die Anklage gegen Milosevic ins Konzept

■ Jugoslawiens Präsident hätte viel früher angeklagt werden können. Beweise gab es genug. Doch vor allem die USA hatten bislang an einem Vorstoß des UN-Tribunals kein Interesse

Eine Anklageerhebung gegen Jugoslawiens Präsident Slobodan Miloevic vor dem UNO-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag war schon lange Zeit überfällig. Seit mindestens fünf Jahren liegen dem Tribunal ausreichende Beweise für eine solche Anklage vor.

Ihre Erhebung zu einem früheren Zeitpunkt hätte über den Fall Miloevic hinaus die Idee einer internationalen Strafgerichtsbarkeit für die Verfolgung von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschheit und Kriegsverbrechen gestärkt.

Doch die gestern erhobene Anklage ist höchst fragwürdig: wegen ihres Zeitpunktes, der besonderen Begleitumstände (Nato-Luftkrieg gegen Restjugoslawien) sowie wegen ihres selektiven, lediglich auf den Kosovo bezogenen Inhalts.

Bereits im Jahre 1994 hat das Tribunal Miloevic' wichtigste Handlanger in Bosnien-Herzegowina, die beiden nationalistischen Serbenführer Radovan Karadic und General Radko Mladic, wegen Völkermord, Verbrechen gegen die Menschheit und Kriegsverbrechen angeklagt. Eine zweite Anklage gegen Karadic und Mladic erfolgte nach der Vertreibung und Ermordung Tausender Muslime aus den beiden ostbosnischen UNO-Schutzzonen Srebrenica und epa im Juli 1995.

Schon damals verfügte das Tribunal über zahlreiche Beweise für die Drahtzieher- und Befehlsgeberrolle, die Miloevic bei den Karadic und Mladic angelasteten Verbrechen in Bosnien-Herzegowina gespielt hat. Auch die entsprechende Verantwortung Miloevic' für die Verbrechen während des Kroatienkrieges im Jahre 1991 ist durch den Tribunal vorliegende Beweise hinreichend belegt.

Doch eine Anklageerhebung gegen Miloevic schien den USA und den anderen Mächten des UNO-Sicherheitsrates sowie der Balkankontaktgruppe (Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Rußland) zumindest bis zum Beginn des Nato-Luftkrieges gegen Restjugoslawien nicht opportun. Miloevic galt den Regierungen in Washington, London, Paris, Moskau und Bonn während der gesamten Phase der innerjugoslawischen Zerfallskriege ab Sommer 1991 immer als unverzichtbarerer Garant für Stabilität in Serbien und darüber hinaus in der Balkanregion.

Insbesondere für Washington war Miloevic bevorzugter „Partner“ für Verhandlungen, für Friedensabkommen wie für schmutzige Geschäfte. Zu diesen schmutzigen Geschäften gehört die im Frühsommer 1995 zwischen US-Händler Richard Holbrooke und Miloevic getroffene Absprache über die Vertreibung der Muslime aus den ostbosnischen UNO-Schutzzonen.

Mit dieser Vertreibung war Bosnien-Herzegowina in zwei ethnisch einigermaßen homogene Großregionen geteilt – die wichtigste Voraussetzung für das dann im Dezember 1995 besiegelte Dayton-Abkommen. Mit der Vertreibung von über 200.000 kroatischen Serben aus der Krajina und aus Westslawonien im Mai und August 1995 durch kroatische Regierungstruppen, für die Washington und Bonn nicht nur politisch grünes Licht gaben, sondern auch logistische und militärische Unterstützung leisteten, wurde die Zustimmung des Regimes von Präsident Franjo Tudjman zum Dayton-Abkommen gesichert.

Vor diesem Hintergrund ist verständlich, daß die USA und die anderen Staaten der Balkankontaktgruppe bislang kein Interesse an einer Anklage gegen Miloevic hatten. Ähnliches gilt mit Blick auf Tudjman, dessen Verantwortung als Befehlsgeber für die Vertreibung der kroatischen Serben ebenfalls durch dem Tribunal vorliegende Beweise belegt ist. Insbesondere die USA wußten in den letzten acht Jahren zu verhindern, daß das Tribunal Anklagen gegen Miloevic und Tudjman erhob: durch ihren erheblichen personellen und finanziellen Einfluß auf das Tribunal sowie durch die Vorenthaltung weiterer Beweise. Andreas Zumach

Für Washington war Milosevic bevorzugter „Partner“ für Verhandlungen, Abkommen und schmutzige Geschäfte

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