Der Dumme ist und bleibt der Club

Abgestiegen: Der 1. FC Nürnberg bekommt auf die quälende Frage nach dem Warum die unangenehmste Anwort: Er ist „so blöd“ und selbst schuld  ■ Aus
Nürnberg Volker Kreisl

Die wegweisende Erkenntnis entstand auf dem Bahnhofsklo. Der 1. FC Nürnberg ist am Boden, so wie jener Anhänger, der sich Tränen, Schweiß und Alkohol aus dem Gesicht wusch, zweimal rülpste und in die Worte ins Waschbekken stieß: „Dann simma also a so a Fahrstulldrubbe.“.

„Die Masse irrt nicht“ hat Michael A. Roth, der Präsident des 1. FC Nürnberg, einmal gesagt. Einzelne seien manchmal undankbar, doch die Masse zeige ein Gespür für die Wahrheit.

Die Masse stand hernach stundenlang auf den Rängen, erstarrte, setzte sich hin, weinte, rotzte, fluchte, brüllte. „Ihr Wichser“, krächzte ein Koloß von einem Kerl mit letzter Kraft, dann fiel er seiner kleinen Freundin um den Hals. Das dürfen die Offiziellen nicht, sie sagen betreten: „Es war das schlechteste Spiel in dieser Saison“ (Roth); „Wir sind mit dem Druck nicht fertig geworden“ (Trainer Friedel Rausch); „Habe mit dem Club schon viel erlebt, aber so was noch nie“ (Assistenztrainer Thomas Brunner).

Also wieder, zum zweiten Mal in einer Woche die achselzuckende Erkenntnis: So isser der Fußball? So isser nicht. Nicht in Nürnberg. Auch im Frankenstadion war Fassungslosigkeit, und die Erwartung, der große Irrtum werde sicherlich gleich aufgeklärt. Doch in diese Sekunden des Stillstands mischte sich sofort so etwas wie Beschämung.

Das spürte man bei den Spielern, die sich vom Platz schlichen, und auch bei der ehrlichen Masse, die rief: „Ihr seid so blöd!“

Der Fußball ist doch erklärbar, die Kugel irrt nicht auf unberechenbaren Wegen. 86. Minute, „1.000prozentige Chance“ (Rausch), alles müßig. Nikl schoß beim Stand von 1:2 eben so, daß der Ball gegen den Pfosten flog, und Frank Baumann, der famose, junge Nürnberger Libero, war der Situation eben nicht gewachsen. Er schaute auf den Ball und schoß Torwart Golz aus zwei Metern an.

Brunner sagte zu der Szene: „Da geh' ich halt voll drauf, brech' mir das Schienbein, liege fünf Wochen im Krankenhaus, aber dafür ist der Club in der ersten Liga.“ Hätte, wäre, würde, armer Baumann.

Die weitere Liste der Kandidaten für einen Knochenbruch: Marc Oechler und Marek Nikl, die sich nach Weigls Rückpaß gegenseitig anguckten, statt „voll drauf zu gehen“, dann zuschauten wie Ali Günes das 1:0 schoß. Van Eck, Nikl, Störzenhofecker und Baumann, die vor dem 0:2 im Fünfmeterraum einfach stehenblieben, statt hochzuspringen, als der Ball kerzengerade herunterkam. Da war schon klar, daß hier kein böswilliges Pech am Werke war. Der Club ging unter wie vor fünf Jahren: Wieder gegen Freiburg, wieder als Favorit im Abstiegskampf. Gerade das hatte die Spieler blockiert. Die Spieler hatten bislang Erfolg, wenn sie frei von Ängsten rennen durften.

Doch drei Punkte und vier Tore Vorsprung, das war nicht Fisch und nicht Fleisch und im Grunde der ungünstigste Rang für Nürnberg. Fürs finale Fracksausen genügte das Mißverständnis von Nikl und Öchler: „Man spürte bei denen plötzlich eine lähmende Nervosität“, sagte Golz.

Einer hätte sich das Schienbein brechen können und trotzdem nichts mehr bewirkt:Friedel Rausch.“Mitte der zweiten Halbzeit konnten wir von außen nichts mehr erzwingen“, sagte Brunner.

Das mag auch daran gelegen haben, daß zwischen Trainer und Mannschaft nie jene Einheit entstanden war, wie etwa zwischen Berger und der Eintracht. Rausch (59) hat seinen Job in Nürnberg gemacht, vorbildlich und professionell. Ein echtes Zittern mit dem Club war bei ihm indes nie erkennbar. Klar, daß einer wie er nicht mehr in die Zweite Liga mag, dennoch schuf die Einstellung, nur bei Nichtabstieg weiterzumachen, Distanz. Rausch der abgebrühte Rettungsprofi, schien noch am Samstag davon auszugehen, daß seine Aufgabe gescheitert und also beendet sei: „Momentan sieht alles danach aus, daß ich nicht weitermachen werde.“ Sah es auch. Ein fahler Präsident hatte davon gesprochen, daß alle Planungen wie ein Kartenhaus in sich zusammengefallen seien und man von vorne anfangen müsse. Das wird nicht einfach: Außer Michael Wiesinger werden vermutlich auch die Schlüsselspieler Pavel Kuka, Sasa Ciric, Frank Baumann und Heiko Gerber gehen. Gestern hatte Roth aber schon wieder ein paar Kärtchen aufgestellt und gab überraschend bekannt, Rausch werde einen Einjahresvertrag bekommen. Also: Der Fahrstuhlführer ist da. Jetzt muß er bloß das richtige Knöpfchen finden. Denn der Club, die Masse erinnert sich mit Schrecken, ist kein popliger Rauf-runter-rauf-Fahrstuhl. Er kann auch mit Karacho ins zweite Untergeschoß rauschen.

1. FC Nürnberg: Köpke – Baumann – Nikl, van Eck – Weigl (46. Ziemer), Störzenhofecker, Oechler, Günther (46. Reinhardt), Gerber – Kuka, Ciric (81. Kurth)SC Freiburg: Golz – Müller, Hermel, Diarra – Kohl, Baya, Günes, Pavlin, Willi – Weißhaupt, Wassmer (68. Sellimi) Zuschauer: 42. 800Tore: 0:1 Günes (28.), 0:2 Günes (35.), 1:2 Nikl (85.)