: Kampfhandlungen in verblassendem Pastell
■ Jeder ist mit sich gestraft: In den Kammerspielen des Deutschen Theaters inszenierte Amélie Niermeyer Lessings „Minna von Barnhelm“ als Zwischenkriegskomödie
Nur einmal fallen sich die Liebenden in die Arme wie zwei, die sich nach langem Suchen endlich wiederhaben. Eine kurze und verzweifelte Umarmung. Dann, fast erschrocken über die plötzliche Nähe, fahren sie wieder auseinander. Alle übrigen Begegnungen danach sind Krampf, sind Vorspiele endloser Ehekriege, die man vorausahnt, lange vor dem Happy-End, das so gar keines werden kann.
Am Ende kann man sie bloß bedauern, daß sie sich wiederfanden: Minna von Barnhelm und ihren Herrn Major von Tellheim, aus dem der Krieg ein Häufchen Elend machte, eine geballte Portion Selbstmitleid. Jeder wäre mit sich selber schon genug gestraft: die kühle Minna, die ihre Gefühle mit Atemübungen zu bezwingen versucht, und der bornierte, steif-stolze Tellheim, der sich partout nicht helfen lassen will.
So gesehen also spielt Amélie Niermeyers DT-Inszenierung des in den letzten Jahren kaum aufgeführten Lessing-Stückes zwischen zwei Kriegen. Der eine ist gerade vorüber (der Siebenjährige von 1756 bis 1763), und seine Veteranen laufen sich schon warm für den Beziehungskrieg. Das wäre viel, ist in diesem Fall aber doch zuwenig. Denn ansonsten spielt das Stück im Nirgendwo.
Der Ausstatter Wolfgang Ebeling verlegte den Abend in die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. Ein heruntergekommenes Wirtshaus, die Wände schräg, die Tapeten in verblassendem Pastell, die Kostüme leichtes Art deco. Minnas Mädchen, die kesse Franziska (Claudia Hübbecker), trägt ein scharlachrotes Charleston-Kleid und das Fräulein von Barnhelm (Nina Hoss) einen feuerroten Bubikopf. Der zackige Wachtmeister Werner (Tom Quaas) wirkt wie ein frühes Mitglied der NSDAP. Guntram Brattias Tellheim ist in seinen stärksten Momenten ein Verwandter von Wolfgang Borcherts Kriegsheimkehrer Beckmann. Mit seinem Dreitagebart und dem dunklen Anzug kommt er einem aber meistens doch eher wie ein kurdischer Familienvater vor, der (wahrscheinlich mit dem Sozialamt) um seine Ehre kämpft.
So bleibt der ganze Abend ein Potpourri der Stile und Anspielungen. Vom Krieg erfährt man nur, was man von ihm schon immer wußte, und von der Liebe gar nichts. Sämtliche historische und geographische Bezüge des Stükkes taugen allenfalls zum Kalauer. Deswegen tut man sich ein bißchen schwer, die ganze Geschichte wirklich interessant zu finden. Zumal der Humor, mit dem Amélie Niermeyer die fehlende Tiefenschärfe ihrer Inszenierung ausgleicht, meistens eine Spur zu nekkisch, die Schauspielerei eine Spur zu effekthascherisch ist.
Der Auftritt von Götz Schubert als Riccaut de la Marlinière, dessen Nachricht vom König Tellheim am Ende rehabilitiert, ist als Solonummer sicherlich ein Höhepunkt des Abends. Als Depardieu-Parodie turnt er parlierend über die Bühne, stolpernd, stöhnend, mit dem Weinglas in der Hand hinter den Frauen her. Das Publikum war schwer begeistert und belohnte die Anstrengung am Ende mit reichlich Applaus. Die Rezensentin war trotzdem nicht zufrieden.
Esther Slevogt
Wieder am 6. und 13.6., 19.30 Uhr, DT-Kammerspiele, Schumannstraße 13 a
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