: Stars und Wildsäue
■ Die Zeitschrift „Vogue“ fordert Vorbilder in Sachen Eleganz und Macht
Vor beinahe 30 Jahren hielt Theodor W. Adorno im Rias Berlin einen Vortrag mit dem Titel „Ohne Leitbild“. „Ich will“, stellte er zu Beginn fest, „nicht als Schnellmaler Leitbilder an die Wand zaubern“, noch mochte er „schwafeln“ – um anzuschließen: „Das Wort Leitbild, mit seinem leisen militärischen Klang, dürfte in Deutschland erst nach dem Zweiten Weltkrieg populär geworden sein.“
1999, unter den Vorzeichen der wie selbstverständlich forcierten militaristischen Zurichtung des öffentlichen Bewußtseins, wandelt die „Pig- and Pop-Press“ (E. Henscheid) auf neuen Pfaden. „Stars fürs Leben“ seien „gesucht!“ meldete die deutsche Vogue, dieser steinschwere und gleichermaßen -dumme Papierblock, der via Titel nicht nur den Upper-class-Trend der „Intime(n) Beauty-Operation: Vagina-Design“ ausruft und „die erotischen Idole von Männern und Frauen“ annonciert, sondern eben auch „Power und Glamour der neuen Stars“ beschwört.
Power, Glamour: Wer für 11 Mark Werbung erwirbt, will sich, so weit scheint die Regression in den höchsten Etagen der Marktschwindler, Geldprasser und freizeitgestaltungsbedürftigen Ausbeuter fortgeschritten, dito gerne einpauken lassen, daß nicht allein Herrschsucht „sexy“ wirke – viel besser, tiefer „fühlt“ das Monetenpack, hängt es den letzten eigenen Gedanken an der Abendgarderobe auf und verfällt vollends der Hörigkeit. Allerdings soll der Bedarf nach Orientierung für den „modernen Menschen“ schlechthin, für: „uns“ alle gelten.
Die Rubrik „Vogue Psycho“ erklärt: „Nicht nur Teenies haben Idole. Wir alle brauchen Helden“, denn ohne Leitfiguren wären wir des Lebens nicht länger mächtig. Was die Psychotheorie in ihren diversen bauernfängerischen Schwund- und Schwindelvisionen anzustellen vermochte und vermag, mutet weiß Gott horrend an. „Wie steht es“, fragt Vogue-Autorin Claudia Steinberg, „um die populären Ikonen, die vorführen, was Eleganz und Macht, was Kompetenz und Talent, was Ausdauer ist?“ Was ein rechtes Frontschwein des Hyperkapitalismus ist? Ein echter Ellbogenrambo? Eine auratische Führerfigur, die uns den Weg durch die Regale weist? Und vor Entzücken dahinschmelzen läßt im Angesicht der Glorie der Macht?
„Sie“, die Topdeppen der ubiquitären Popkonjunktur, „schaffen das kulturelle Klima, an dem man sich orientiert, die konkreten Utopien, denen man nachjagt, ohne zu hoffen, sie überhaupt einzuholen.“ Selten wurden der kulturindustrielle Fluch des Immergleichen, die Hysterie der Mode und die Infamie des Dabeiseinmüssens prägnanter charakterisiert. Den Zwang, den Normen der Warengesellschaft hörig zu sein, ins Bild der Utopie zu kleiden, dafür bedarf es tatsächlich jener Infamie, die der ärmlichen und erbärmlichen Society-Publizistik wesenseigen ist.
Die Predigt, „seine Helden im Alltag“ hechelnd zu suchen, „die effiziente Kollegin, den alten toleranten Nachbarn oder auch nur die atemberaubende Passantin, deren Outfit und Attitüde man für fünf wichtige Sekunden bewundert“, findet ihr Ziel womöglich daran, die Vogue-Leserin auf die PR-Seiten drum herum einzustimmen. Nun kann sie, gestählt durch die bedingungslose Kapitulation vor und die Bejahung von „Rollenbildern“, den entfesselten Konsum zur „Selbstreflexion“ umdeuten. Die altehrwüdige „Ich-Stärke“ ersetzt die vor jedem Kleid, jeder Schallplatte, jeder „Madonna“, jedem Unterhaltungsfitti und „in jeder Sekunde“ neu gestellten Frage: „Bin ich das?“
Robert Lembke konterte einst mit der Gegenfrage, welches Schwein man sei. Adorno bekannte in seinem Essay „Amorbach“: „Hätte ich ein Leitbild, so wäre es jenes Tier“ – dieses: ,Die gezähmte Wildsau von Ernsttal vergaß ihre Zahmheit, nahm die laut schreiende Dame auf den Rücken und raste davon.‘ “
Möge sie Frau Steinberg schultern und durchs Zeitungsdorf fegen, bis es gründlich verwüstet darniederliegt. Jürgen Roth
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