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Offener Wettbewerb um Posten und Pfründe

An der Freien Universität Berlin wird morgen der Präsident gewählt – oder eine Präsidentin. Der Vize Peter Gaehtgens wurde zwar per Ritterschlag von seinem Vorgänger inthronisiert, doch seiner Gegnerin Gesine Schwan könnte ihr höherer Bekanntheitsgrad zugute kommen  ■ Von Ralph Bollmann

Es war einer jener theatralischen Auftritte, die Johann W. Gerlach schon immer geliebt hatte. Noch sichtlich geschwächt durch einen schweren Autounfall zehn Monate zuvor, trat der Präsident der Freien Universität im Dezember zum ersten Mal wieder vor die Öffentlichkeit. Es war die Feier zum 50jährigen Bestehen der Hochschule, die sein Stellvertreter Peter Gaehtgens organisiert hatte. Das handverlesene Publikum, darunter nur wenige Studenten, verfiel augenblicklich in andächtiges Schweigen, als der grauhaarige, abgemagerte Mann mit dünner Stimme das Wort ergriff. Eine fast sakrale Stimmung erfaßte die Menge im größten FU-Hörsaal. Gerlach sprach über seinen Unfall, seine langsame Genesung. Dann dankte er dem Vize Gaehtgens für seinen Einsatz im Jubiläumsjahr, um schließlich – dramaturgisch geschickt – auf den entscheidenden Punkt zuzusteuern. „Ich hoffe“, sagte er zu Gaehtgens gewandt, „daß Sie das noch lange weitermachen können.“

Das war der öffentliche Ritterschlag. In der Logik des deutschen Hochschulsystems hätte Gaehtgens auf dem Weg ins Präsidentenamt jetzt keine Widerstände mehr erwarten müssen. Schließlich bestimmen die universitären Würdenträger hierzulande immer noch selbst, wer in ihre Kreise aufgenommen wird. Ein offener Wettbewerb um Posten oder Pfründe gilt, allen Reformversuchen zum Trotz, noch immer als unschicklich. Unter gewöhnlichen Umständen hätte es nicht einmal des Gerlach-Auftritts bedurft, um den Posten für Gaehtgens zu sichern. Doch zwei Wochen vor der Jubiläumsfeier hatte auch die Politikprofessorin Gesine Schwan (SPD) ihren Hut in den Ring geworfen – und sich damit bei ihren Kollegen nicht nur Freunde gemacht. Am morgigen Mittwoch wird das Rennen endgültig entschieden.

Seit einem Jahrzehnt gilt an der einst politisch bewegten FU Ruhe als erste Professorenpflicht. Denn mit dem Fall der Mauer rückte die Ostberliner Humboldt-Universität ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit. Die Hochschule im Außenbezirk Dahlem verlor die Gunst der hauptstädtischen Finanzpolitiker. Die einst verfeindeten politischen Lager rückten zusammen. Sie wollten Unauffälligkeit und Effizienz demonstrieren, um das Image der Chaoten-Uni abzustreifen.

Freilich dienten die unauffälligen Verwalter eher ihren eigenen Interessen als denen der Wissenschaft. Seit der Jurist und spätere Innensenator Dieter Heckelmann (CDU) in den achtziger Jahren als FU-Chef amtierte, ziehen im Präsidialamt dieselben Leute die Fäden. Die Mehrheiten bei den Präsidentenwahlen waren knapp. Wer über die entscheidenden Stimmen verfügte, durfte mit Belohnung rechnen. Für den Hekkelmann-Intimus Kuno Böse, heute Staatssekretär in der Berliner Innenverwaltung, wurde ebenso ein neues Pöstchen geschaffen wie für den Mehrheitsbeschaffer Peter Lange, der als „Präsidialamtsleiter“ in der FU-Verwaltung die Fäden zieht. „Alternativ-undogmatische“ Vertreter der wissenschaftlichen Mitarbeiter ließen sich in einem „Forschungsverbund SED-Staat“ mit lukrativen Pöstchen versorgen. Das Thema war klug gewählt: Wer diese Konstruktion kritisierte, mußte sich als Kommunistenfreund an den Pranger stellen lassen.

Schlimmer als der Postenschacher war das Klima der Heimlichkeit, das die verfilzten FU-Strukturen erzeugten. Bei Recherchen auf dem Campus gewannen Journalisten den Eindruck, als sei der Bundesnachrichtendienst, der kurzzeitig mit einem Umzug nach Dahlem liebäugelte, dort längst heimisch. Ist die Presse am Telefon, senken Hochschulmitarbeiter sogleich die Stimme, schließen die Tür und reagieren panisch auf jedes Knakken in der Leitung.

Eine höchst ungeschickte, auf Konfrontation angelegte Strategie im Umgang mit Studenten und Öffentlichkeit kommt hinzu. Die FU war die einzige Berliner Hochschule, die im Studentenstreik des vorvergangenen Winters die Polizei auf den Campus rief – und sie ist die einzige, die ihr neues Beratergremium versteckt, statt mit den prominenten Namen offensiv Punkte zu sammeln.

Der Uni-Filz, an vielen deutschen Hochschulen verbreitet, ist an der FU im Schutz der Berliner Mauer besonders kraß gewuchert. Die Frontstellung gegen kommunistische Staatsfeinde hielt die Klüngelrunden bis 1989 ebenso zusammen wie seither der Liebesentzug durch die lokalen Politiker.

Jetzt endlich, zehn Jahre nach der Wende in der DDR, scheint auch an der FU die Mauer zu fallen.

„Transparenz“ und „Offenheit“ sind die Schlagworte, mit denen Schwan gegen Gaehtgens antritt. Sie will nicht nur den Status quo verwalten, sondern die Hochschule wieder stärker ins Gespräch bringen. Auf dem Gelände des früheren amerikanischen Hauptquartiers in Dahlem soll ein zentraler Campus für die auf zahllose Standorte verteilte Universität entstehen. Auch der größere Bekanntheitsgrad der Professorin, so glauben die Schwan-Befürworter, werde der FU im Fall ihrer Wahl zugute kommen.

Ob sich die 61 Mitglieder des erweiterten Akademischen Senats – zur Hälfte Professoren, der Rest Studenten und Mitarbeiter – für solche Argumente überhaupt interessieren, wird sich bei der morgigen Wahl zeigen.

Auf den ersten Blick stehen die Chancen für Schwan schlecht. Schon vor Monaten haben sich alle Gruppierungen der organisierten Professorenschaft und einige wissenschaftliche Mitarbeiter auf Gaehtgens verständigt. Vorgänger Gerlach hatte diese Mehrheit zusammengezimmert – nicht ohne aus seinem tragischen Unfall auf perfide Weise politisches Kapital zu schlagen. Sogar die Kritiker, die während seines Klinikaufenthalts aus Rücksichtnahme schwiegen, mußten sich vor seinen Karren spannen lassen: Daß die „Mäkeleien“ nach dem Unfall „von der Bildfläche verschwanden“, hieß es im FU-Mitteilungsblatt, sage „genug über die Qualität ihrer Inhalte“. Womöglich aber hat Gerlach dieses Spiel inzwischen zu weit getrieben, als daß Gaehtgens sich auf den Mitleidseffekt noch verlassen könnte. Schon weil es an der Hochschule keinen Fraktionszwang gibt, muß der bisherige Vize mit Überläufern ins gegnerische Lager rechnen. Schwan selbst hält ihre Chancen jedenfalls nach unzähligen Gesprächen mit Wahlmännern und –frauen für „sehr gut“. Auch Gaehtgens weiß, daß eine Wahl „erst dann vorbei ist, wenn sie vorbei ist“.

Schwan hat aber jetzt schon erreicht, was Gaehtgens unbedingt vermeiden wollte: Sie hat einen regelrechten Wahlkampf um das Präsidentenamt erzwungen. Die FU hat in der überregionalen Presse wieder ein Gesicht bekommen, aus allen Zeitungen lächelte den Lesern Schwans Konterfei entgegen. Schon wähnt sich der parteilose Mediziner als Opfer einer PR-Kampagne wie Kanzler Kohl im vergangenen Herbst. „Ich stelle mich nicht dafür zur Verfügung“, erklärte Gaehtgens gekränkt, „in einer Entertainment-Unternehmung gegen Frau Schwan zu kämpfen“.

Doch die Beteuerungen des Vizepräsidenten, er wolle keinen Wahlkampf führen, verloren immer mehr an Überzeugungskraft. Dem Wettbewerb konnte er sich nicht entziehen, auch wenn er ein öffentliches Duell mit seiner Kontrahentin bis zuletzt verweigerte. Nach dem schlechten Abschneiden der FU beim Spiegel-Ranking redete auch er publikumswirksam von Reformbedarf. Seine Kollegen in den Geistes- und Sozialwissenschaften umschmeichelte der Mediziner ebenso wortreich, wie die Sozialwissenschaftlerin Schwan über die Bedeutung der Naturwissenschaften an der FU schwadronierte.

Auch die Politologin wird die Partikularinteressen ihrer Wähler nicht ignorieren können. Aber sie verspricht, diese Interessen nach innen in transparenten Verfahren zu vermitteln und nach außen politisch offensiv zu vertreten. Gewiß ist nicht jeder Punkt aus dem Programm, das sie unters Volks streute, wirklich originell.

Eine kleine Sensation im deutschen Uni-Betrieb wäre es jedoch, würde Schwan morgen tatsächlich gewählt.

Hierzulande bestimmen die universitären Würdenträger noch selbst, wer in ihre Kreise aufgenommen wird

Jetzt endlich, zehn Jahre nach der Wende in der ehemaligen DDR, scheint auch an der FU die Mauer zu fallen

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