: Der Winter – der Alptraum der Hilfsorgansisationen
Ein Ende des Krieges ist noch immer nicht in Sicht. Die Lager müssen für Frost und Schnee gerüstet werden ■ Von Jutta Wagemann
Der Winter ist noch weit weg, für die Flüchtlingsorganisationen in Albanien und Makedonien aber ist er jetzt schon ein Problem. Die Vorbereitungen für die Überwinterung der Kosovo-Vertriebenen laufen bereits auf Hochtouren. Niemand jedoch hat eine genaue Planungsgrundlage. Weder läßt sich die Zahl der im Winter zu versorgenden Flüchtlinge abschätzen noch der Zeitpunkt einer möglichen Rückkehr der Kosovaren in ihre Heimat. Auch die Finanzierung der Winterhilfe ist noch nicht gesichert.
Schon vor Wochen hatte die UN-Flüchtlingskommissarin Sadako Ogata an die internationale Gemeinschaft appelliert, möglichst bald Vorbereitungen zu treffen, um die Flüchtlingslager auf die kalte Jahreszeit vorzubereiten. Denn in den gebirgigen Ländern sind die Winter frostig und schneereich. Das UN-Flüchtlingshilfswerk will in Kürze einen genauen Plan für den Winter vorstellen.
„Spätestens im Juni muß man anfangen, Winterhilfsgüter einzukaufen“, sagt der Sprecher des UNHCR Deutschland, Stefan Telöken. 15.000 beheizbare Zelte hätten sie bereits geordert. Anfang Juli sollen sie verschickt werden. Die Hilfsorganisationen können in ihren Planungen nicht darauf warten, wie sich die Krise entwickelt.
Deshalb stellen man sich auf zwei Szenarien ein: Entweder wird weiterhin eine große Zahl von Vertriebenen in Albanien und Makedonien zu versorgen sein, oder es gilt, den Wiederaufbau im Kosovo und die Rückkehr der Flüchtlinge zu organisieren.
Das UNHCR prüft derzeit, wieviel Geld dafür benötigt wird. Genaue Zahlen kann allerdings noch keine Organisation vorlegen. Care International rechnet allein für seine Hilfe in Albanien für die nächsten Monate mit Kosten von 16,4 Millionen Dollar.
Das UNHCR hat errechnet, daß Container für 800.000 Menschen 500 Millionen Dollar kosten würde. Mit einem dreistelligen Millionenbetrag müsse man für die Winterhilfe auf jeden Fall rechnen, sagt Telöken.
Eine genaue Planung ist fast unmöglich. „Wir können nur von Durchschnittszahlen ausgehen“, sagt der Sprecher von Caritas International, Matthias Schüth.
Am Beispiel des Lagers Stenkovac in Makedonien macht er die Schwankungen deutlich, mit denen die Hilfsorganisationen jetzt schon zu kämpfen haben. Vor einigen Wochen noch hätten 30.000 Flüchtlinge in Stenkovac gelebt, dann sei die Zahl auf 11.000 gesunken. Zur Zeit seien wieder 17.000 Menschen im Camp. „Wann sollen wir die Massenzelte abbauen und Familienzelte aufbauen?“ Auch erfahrene Helfer sind in diesem Krieg oft ratlos.
Tausende Flüchtlinge über den Winter bringen zu müssen, ist für die Hilfsorganisationen ein Alptraum. „Man kann Lager nur begrenzt winterfest machen“, sagt Yvonne Ayoub, Sprecherin von Care Deutschland. Zelte, Container oder Baracken lassen sich schwer heizen. Öfen sind gefährlich.
Für die Camps in den albanischen Bergen kommt ein weiteres Problem hinzu: Bei Schneeglätte lassen sich Hilfsgüter nicht mehr zu den Lagern transportieren. Christel Neudeck vom Komitee Cap Anamur hält es für unmöglich, die Lager in Kukäs im Winter aufrechtzuerhalten.
Die Flüchtlingsorganisationen bereiten daher alternative Unterbringungsmöglichkeiten vor. Noch mehr Flüchtlinge als bislang sollen in Gastfamilien unterkommen. Die Familien sollen dann mehr als bisher Unterstützung erhalten. Darüber hinaus werden Schulen, Turnhallen und Gemeindehäuser, wo jetzt schon Kosovo-Albaner Zuflucht gefunden haben, winterfest gemacht; oft sind Fenster und Dächer undicht.
Caritas International hat dabei auch die längerfristige Nutzung im Auge. In Velipojä im Norden Albaniens etwa investierten sie 300.000 Mark in mehrere Gebäude, die später als Sportstätten und Kindergärten dienen könnten.
Obwohl völlig ungewiß ist, ob und wann die Vertriebenen ins Kosovo zurückkehren können, bereiten die Hilfsorganisationen parallel die Rückkehr vor. Das UNHCR hat schon vor einer Woche entsprechende Pläne bekanntgemacht. Zuerst sollen sich Gutachter der Organisationen ein Bild der Lage verschaffen. Als zweiter Schritt werden die humanitären Organisationen ins Kosovo zurückkehren. Anschließend werden die Vertriebenen organisiert zurückgebracht. Die vierte Phase sieht die Integration der Flüchtlinge und die Versöhnung von Serben und Kosovaren vor.
Derzeit machen sich die Hilfsorganisationen vor allem über die zweite Phase Gedanken: die Häuser so wiederaufzubauen, daß die Vertriebenen dort im Winter leben können. „Zerstörte Häuser lassen sich meistens schneller wieder herrichten, als neue zu bauen“, gibt Schüth die Erfahrungen aus Bosnien wieder. Ähnlich wie in Bosnien gebe es auch im Kosovo oft kleine Häuschen im Garten, die sich schnell instandsetzen ließen. Dort könnten die Menschen leben, bis ihre Häuser bezugsfertig seien. Die Caritas geht allerdings davon aus, daß zunächst nur die Männer zurückkehren werden. Die Folge: Die Alten, Frauen und Kinder müssen weiter in den Lagern versorgt werden.
Trotz der Vorbereitung auf Minustemperaturen stellt sich jetzt erst einmal für die Helfer das entgegengesetzte Problem: der heiße Sommer. In Tirana und Skopje wird es im Juli bis 40 Grad warm. Eine bessere Trinkwasserversorgung und funktionierende sanitäre Einrichtungen haben deshalb zur Zeit oberste Priorität.
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