Volltreffer bei freundlichem Feuer

■ Nato zerstört die Münchner Ernst-von-Bergmann-Kaserne

Einmal mußte es ja passieren – und gestern war es soweit. Das Unfaßbare, der worst case der Nato, ist eingetreten: Ein amerikanischer Tarnkappenbomber feuerte seine tödliche Fracht auf München ab. Nicht das Olympiastadion, nicht die BMW-Zentrale waren das Ziel des aberwitzigen Angriffs, sondern ein veritabler Bundeswehr-Standort! Die Raketen schlugen in der Ernst-von-Bergmann-Kaserne im Münchner Norden ein und zerstörten sie vollständig. Acht Soldaten starben in den Stiefeln, 14 im Bett. 32 Verletzte beklagt der Standortkommandeur, der den tragischen Vorfall immer noch nicht fassen kann. Die Schäden am Material sind noch nicht vollständig gesichtet, aber als sicher gilt, daß mindestens 14 Leopard-Panzer, 68 schwere Lkw, mehrere Feldhaubitzen und 2 Hubschrauber vernichtet wurden.

Wie konnte es zu diesem unglaublichen Versehen kommen? Wie üblich breitete die Nato erst einmal einen Mantel des Schweigens über den bislang schwerwiegendsten Fehler dieses Krieges. Zu tief saß der Schock in den Feuerleitstellen.

Friendly fire ist zwar ein altbekanntes Phänomen im Schlachtgetümmel, im Kampf Mann gegen Mann, aber im Luftkampf? Dieser Vorfall ist zu gravierend, als daß er mit den gängigen Kategorien der modernen Kriegführung erfaßt werden könnte. Dringenden Aufklärungsbedarf mahnt denn auch Verteidigungsminister Scharping an.

„Der Pilot Edward S. Goodman dachte wohl, er hätte eine bislang nicht entdeckte Nachschubbasis der Serben im Visier“, versuchte der sichtlich geschockte Nato-Sprecher Jamie Shea den Vorgang zu erklären. Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping, der sofort zum Ort des Geschehens eilte, forderte in gewohnt zackiger Diktion eine unverzügliche und rücksichtslose Aufklärung des Vorfalls, äußerte aber auch Verständnis für den amerikanischen Piloten. „Es ist schon verdammt schwer für diese Jungs, sich in Europa zu orientieren, wo alles so nahe beieinander liegt.“ Und hinter vorgehaltener Hand verkündet er allen, die es hören wollen, „von Geographie hatten die Amis ja noch nie eine Ahnung“.

Starke Worte, die der amerikanische Verbündete nicht gerne hören wird. Und doch trifft Scharping mit dieser bissigen Sottise den Nagel auf den Kopf. Nach einer ersten Befragung des Piloten scheint nämlich festzustehen, daß er von seinem Standort Piacenca aus nach Norden statt nach Südosten flog – Fehler Nummer eins. Und dann – fataler Irrtum Nummer zwei – verwechselte er Munich mit der südserbischen Provinzstadt Munic. Wegen eines fehlenden h mußten unsere Soldaten das Leben lassen.

„Als wir in Geographie fucking old Europe durchgenommen haben, war ich wohl gerade mal wieder krank“, war Goodmans lakonischer Kommentar zu seiner indiskutablen Leistung. Scharping fordert deshalb zu Recht, amerikanische Piloten vor ihrem Einsatz mit den Grundlagen der geographischen Gliederung Europas vertraut zu machen. Hunderte arbeitslose Erdkunde-Lehrer würden dadurch in Lohn und Brot gesetzt.

Der Vorgesetzte des Piloten fordert aber auch Verständnis für den Unglücksraben. „Unsere Jungs sind seit Wochen pausenlos im Einsatz, da kann so etwas schon mal vorkommen. Auch Soldaten sind Menschen und keine Roboter – und deshalb machen sie Fehler. So bedauerlich das im Einzelfall auch sein mag.“

Nicht auszudenken, was geschehen wäre, wenn Goodman das Hofbräuhaus bombardiert hätte, in der Annahme, es sei ein Tanklager der Serben. Zum Zeitpunkt des Angriffs saß nämlich gerade eine 56köpfige Reisegruppe aus Ohio über ihren Maßkrügen ...

Rüdiger Kind

Eine fatale Verwechslung: Wegen eines fehlenden Buchstaben mußten unsere Soldaten ihr Leben lassen