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Übergangsmäntel im Angebot

Platztausch zwischen Christo und Christus: Ein Künstlerprojekt bringt die grenzüberschreitende Verständigung zwischen Frankfurt (Oder) und dem polnischen Slubice voran und macht aus Privatwohnungen zeitweise öffentlichen Ausstellungsraum  ■   Von Christoph Rasch

Anke Papenbrock dekoriert die Wände ihrer sanierten Altbauwohnung mit Christos Reichstags-drucken und Hundertwasser-Postkarten. Ewa Lowzyk hängt Gedichte und Kinderfotos in ihre Einzimmerwohnung – und über der Tür baumelt das obligatorische Kruzifix. Die beiden jungen Frauen sind fast Nachbarn, doch sie trennt ein Fluß und eine Staatsgrenze. Anke wohnt in der Lindenstraße in Frankfurt (Oder), Ewa in der Ulica Zeromskiego im polnischen Slubice.

Nun aber wechseln Christo und Christus temporär Staatsgebiet und Räumlichkeiten und machen die Wohnungen der beiden Frauen zum eigenen Kunstraum. Die Journalistin Anke und Ewa, die künstlerisch ambitionierte Angestellte bei der Slubicer Stadtverwaltung, tauschen ihren Wandschmuck aus, um danach die Öffentlichkeit an ihren verfremdeten Wohnungen teilhaben zu lassen: „Zeitweise öffentlich“ bzw. „czasowo otwarte“ heißt das Kunstprojekt, das Anfang Juni begann. Initiator Michael Kurzwelly, in Polen und Frankfurt lebender Künstler, meint: „Die Frankfurter und Slubicer treffen sich fast nur beim Einkaufen, die privaten Kontakte sind spärlich, man weiß kaum etwas voneinander.“

15 grenznahe Privathaushalte werden im Juni zu Laboratorien einer „anderen“ deutsch-polnischen Verständigung, 15 Künstler aus Deutschland und Polen zu den „Paten“ eines kulturellen Austausches jenseits von Aldi und Schwarzmarktzigaretten. Parallel zu vielfältigen Wohnraum-Manipulationen starten die beteiligten Künstler Workshops in den Schulen der beiden Städte. Rund 250 deutsche und polnische Schüler werden so in diverse Kunstprojekte involviert, was eine abschließende Ausstellung in der Frankfurter Marienkirche und ein Katalog dokumentieren.

Die Privatwohnungen der teilnehmenden Grenzbürger werden die Künstler nicht nur wochenlang beherbergen, sondern an zwei Wochenenden im Juni auch frei zugänglich sein. Das „Öffnen“ des Privaten ist hier wortwörtlich: Bei dem Potsdamer Künstler Matthias Schmidt, der im Juni ein Slubicer Einfamilienhaus zu seiner Werkstatt macht, bekommt jeder Besucher einen Schlüssel. Der polnische documenta-x-Teilnehmer Pawel Althamer schickt seine Frankfurter Gastfamilie nach Warschau, von wo aus sie fortan ihre Gäste zu Hause per Internet begrüßen kann. Und die Münchner Künstlerin Iris Häusler richtet in der maroden Frankfurter Marienkirche eine grenzüberschreitende Tauschgarderobe ein: „Übergangsmantel.“

Eine künstlerische Sonderstellung nimmt Roland Schefferski ein, der seit 1984 in Berlin lebt. Der gebürtige Katowicer verbindet als einziger beteiligter Künstler beide Seiten der Oder: Immerhin hat Schefferski den besagten „Bildertausch“ zwischen Anke und Ewa inszeniert und betreut. Aber, sagt er: „Hier produziert nur die Idee die Kunst, ich als Künstler bleibe außen vor.“ Sein Konzept erscheint daher radikal minimalistisch. „Meine eigene Produktivität würde hier nur stören“, meint Schefferski, „ich will kein Filter sein, sondern recherchieren und das Vorhandene bewegen.“

Kulturaustausch als Angelegenheit von Institutionen wird im „zeitweise öffentlichen“ Frankfurt/Slubice vermieden. Plakativ kommt dies im Workshop-Projekt „Fähre“, ebenfalls von Pawel Althamer, zum Ausdruck: Dieser richtet zusammen mit Schülern einen realen Fährbetrieb über den Grenzfluß ein und dokumentiert das Werden oder Scheitern des Vorhabens, vom Floßbau bis zu den nötigen Behördengängen.

Gemeinsam, und das vereinfacht die Ausgangslage nicht, sei Frankfurtern wie Slubicern „das Fehlen von fest hier verwurzelten Traditionen“, so Kurzwelly – der Begriff „Heimatstadt“ habe gerade für die älteren Bürger eine doppelte Bedeutung. Nach dem Krieg war Frankfurt so gut wie entvölkert, in seinen einstigen östlichen Stadtteil jenseits der Oder, dem heutigen Slubice, zogen Menschen aus dem damals sowjetisch annektierten Ostteil Polens. In die Privatheit der Wohnung, in Polen noch mehr ein „Heiligtum“ als hierzulande, findet der Entwurzelte nicht nur den letzten Halt, er verschanzt sich dort. Kurzwellys Projekt bietet den Blick über den Tellerand – „Wie leben die anderen?“ – als Chance zur kulturellen Selbstfindung. Künstler und Öffentlichkeit funktionieren als Katalysator. Die Wirkung des durchaus publicityträchtigen Städteprojektes sieht Michael Kurzwelly dennoch nüchtern: „Unsere Zielgruppe wird beschränkt bleiben. Die Leute, die auf dem Polenmarkt ihre Geschäfte machen, werden wir kaum erreichen.“ Doch Christo und Hundertwasser hängen im Juni in Slubice. Und in Ewas „manipulierter“ Wohnung stellt sich gespannte Neugier vor den fremden Besuchern ein und die Erkenntnis: „Wenn ich mir ein neues Umfeld erschließen will, muß ich auch etwas von mir geben.“ „Zeitweise öffentlich“. 4. bis 21. Juni in Frankfurt (Oder) und Slubice. Informationen unter (03 35) 5 00 23 51 oder im Internet unter www.arttrans.de

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