Erfrischendes „Frischfleisch“

■ „Yol“ beeindruckte bei Oldenburgs Low-Bugdet-Theaterfestival

„Frischfleisch“ steht derzeit in der Oldenburger Kulturetage auf dem Programm. Mit dem gleichnamigen Low-Budget-Festival verspricht die Leiterin Cordelia Wach das Theater von Morgen und junge Talente zu präsentieren. Das gelang am Wochenende auf jeden Fall ohrenbetäubend mit der Hamburger House-Techno-Breakbeats-Dub-und-sonstnochwas-Band „Plexiq“, die auch in Übersee bereits einige Aufmerksamkeit erregte. Also: Keine Entdeckung mehr, aber ein klasse Wet-T-Shirt-Konzert. Ein Kontrast zum ersten Teil des Abends, der teilweise sehr getragen wirkte. Das Essener Tanzensemble Yol bringt mit „NAFS“ das erste abendfüllende Programm der jungen Choreographin Suna Göncü auf die Bühne. Die Folkwang-Absolventin erkundet in drei verschiedenen Tanzstücken ein ungewöhnliches, aber hochaktuelles Thema: die sehnsuchtsvoll zerrissene Identität der Gastarbeiterkinder zweiter Generation. Mit ihrem Solo „Yol“ lotet die türkischstämmige Deutsche diese Balance als körperliche Suche aus. Sie wirkt ausgesetzt im Raum, mal kraftlos, dann aufgeschreckt von religiösem Gesang, der wie eine Chimäre aus dem Großstadtlärm aufsteigt. Realität und Vision durchdringen die Selbstwahrnehmung, wieder und wieder befragt die Tänzerin ihr Spiegelbild. Dabei bleibt sie in ihrem Stück bei der verhaltenen Dynamik Wigmannscher Tanzsprache, doch diese ist zugleich durchdrungen von kraftvollen und melancholischen Elementen.

Die Stärke der Choreographin tritt dort hervor, wo sie auf theatralische Elemente verzichtet und eine herbe, spröde Tanzsprache durch den Raum führt. Füße durchtasten den Raum. Uniform gekleidete Frauen schieben sich so in stakkatohafter Bewegung hin und her, lösen sich voneinander, um sich mechanisch wieder zu verzahnen. Doch eine Frau in einem hellen Kleid bleibt auf dem Fleck, kreist in weichen Bewegungen um sich selbst, gerät so in die zahnradgleiche Gruppe, die aggressiv reagiert. Die Einzelne versucht sich den gleichförmigen Bewegungen anzupassen. Sie wirkt gehetzt, gibt auf, bleibt bei ihrem eigenen Rhythmus. Eine sehr exakte Sequenz, die tiefe Berührtheit zurückließ, und in der die folkwangtypische Schlichtheit eine eigene Kraft entfaltete.

Vollends neue Formen lassen heute abend in der Kulturetage die musikalischen Porträts erwarten: Experimente mit Klang- und Farb-impulsen, die an der Oldenburger Uni im Rahmen eines Kompositionskolloquiums entstanden sind. Beim Exportversuch nach New York sorgte dieses Frischfleisch unlängst für Furore. Marijke Gerwin

Heute im Frischfleisch-Angebot: „Musikalische Porträts“, 20 Uhr, Halle der Kulturetage, Bahnhofstraße 11