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Luise Wilhelmine

Es war einer dieser unseligen 24. Dezember, an dem das Grauen der Besinnlichkeit eskalierte. Daß sie Oma ausgerechnet in der Heiligen Nacht achtkantig rausschmeißen würden, habe ich selbst meinen Eltern nicht zugetraut. „Ich will nicht, daß sie kommt“, zeterte meine Mutter wie üblich, weil sie Schwiegermutters gnadenlose Zunge fürchtet. Vergeblich. Fidel und kratzbürstig erschien Luise Wilhelmine – damals hoch in den 80ern – zur Kaffeezeit. Schon zuckte es böswillig um ihre Mundwinkel: Der Tisch nicht gedeckt, ihr Sohn „unanständig“ gekleidet, ich ungekämmt, spie sie uns entgegen. Und es röche widerlich angebrannt. Womit sie recht hatte.

Unsere Nerven aber waren schon strapaziert: Erst das Gekläffe zwischen Vater und Sohn beim Versuch, den Tannenbaum gerade aufzustellen („Du bist doch nur ein Ersatzteil!“ – „Ich bin Dein Vater!“). In der Hochphase der hektischen Vorbereitungen wünschte wie immer „ein gesegnetes Fest auch“ Tilo, meine Jugendliebe, dem die Familie noch heute hinterhertrauert, und der auch nach all den Jahren jedesmal den Punkt verpaßt, an dem es höchste Zeit wäre zu gehen. Und schließlich Luise Wilhelmine.

In Ermangelung eines Hörgeräts kann sie unserem rücksichtslosen Flüstern nicht folgen. Zur Strafe zerbricht sie ihre Kaffeetasse. Die Kekse sind zu süß, der Braten zu zäh, meine Mutter zu dumm: „Sei du mal still, wenn Akademiker sich unterhalten.“ Erstes Stirnrunzeln meines Vaters. Bildung hin oder her – niemand soll seine Frau beleidigen. Doch Oma gerät erst in Fahrt: Die Kinder „schlecht erzogen“, wir alle „auf dem besten Wege, mich ins Grab zu ärgern“. Alles schreit durcheinander. Das erste ehrliche Weihnachtsfest. Irgendwann fliegen die Geschenke für Oma achtlos in einen Korb, die von ihr mitgebrachten obendrauf – nur Pralinen, stelle ich erleichtert fest. Dann hebt mein Vater die strampelnde Frau hoch, setzt sie vor der Haustür ab und dreht den Schlüssel um: „Haaalllellluuujaaa“. Nie habe ich ihn so herzergreifend singen hören.

Leider will sich niemand im nächsten Jahr an den Spuk erinnern. Luise Wilhelmine ist wieder da. Die Pralinen beschert sie uns erneut – ranzige Schokolade ist eine fiese Rache. Uli Baumgärtner

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