piwik no script img

Wrocklages eigener Polizeiskandal

■ Das erste Opfer einer Scheinhinrichtung sagt aus / Vorfall geschah fünf Monate nach Hackmanns Rücktritt / Kronzeuge wird bestätigt Von Marco Carini

Der Hamburger Polizeiskandal erhält möglicherweise eine neue Dimension. Erstmals packte am Mittwoch ein Opfer einer „Scheinhinrichtung“ vor der Dienststelle für interne Ermittlungen (DIE) aus. Der Ghanaer Jael Boateng sagte aus, er sei Anfang Februar von zwei Beamten der Revierwache 11 an der Kirchenallee in den Freihafen verschleppt, sexuell genötigt, niederge-schlagen und mit einer an seine Schläfe gehaltenen Pistole in Todesangst versetzt worden. Der Beamte hätte den Abzug betätigt, die Waffe sei aber nicht geladen gewesen.

Mit dieser Aussage gibt es erstmals einen Zeugen für eine „Scheinhinrichtung“ mit rassistischem Hintergrund. Zwar hatte der angehende Kriminalkommissar Uwe Chrobok – Kronzeuge im Hamburger Polizeiskandal – bereits im März ausgesagt, Kollegen hätten auf der Wache 11 damit geprahlt, Schwarzafrikanern Todesangst eingejagt zu haben: Während ein Beamter eine Waffe an die Schläfe des Opfer hielt, habe ein Kollege gleichzeitig einen scharfen Schuß abgefeuert. Doch mangels aussagewilliger Opfer waren die Ermittlungen ins Stocken geraten.

Pastor Christian Arndt vom „Komittee zur Verteidigung der Menschenrechte“, das den Zeugen ausfindig machte, sieht darin Methode: „Die Ermittler haben nie den Versuch unternommen, Opfer zu finden“. Während Michael Hermann vom Komittee Boateng aufgrund seiner detaillierten Schilderung (Auszüge siehe Text unten) für „absolut glaubwürdig“ hält, werden von anderer Seite die Schilderungen des Ghanesen angezweifelt. So zitiert das ARD-Magazin Panorama in einem gestern abend gesendeten Beitrag die Staatsanwaltschaft mit den Worten, der 28jährige Ghanaer habe „einen eher zwiespältigen Eindruck“ hinterlassen.

Auch der Vorsitzende des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses (PUA) zum Hamburger Polizeiskandal, Ulrich Karpen, stellte auf seiner gestrigen PUA-Bilanz (siehe Text unten rechts) mehrfach die „Seriösität“ Boatengs infrage. Obwohl er die Zeugenaussage des Schwarzafrikaners nach eigenem Bekunden „nicht kennt“, stellte er wiederholt die Vermutung in den Raum, Boateng hätte „einen Popanz aufgebaut, um seine Abschiebung zu verhindern“. Für Michael Hermann sind „solche Aussagen absurd“. Boateng hätte im Gegenteil davon „erst überzeugt werden müssen“, aus der Bundesrepublik nicht auszureisen, um den Ermittlern bis zur Aufklärung des Vorfalls zur Verfügung zu stehen.

Manfred Mahr, der für die GAL-Fraktion im PUA-Polizei sitzt, sieht durch Boatengs Aussage „mit grausamen Details bestätigt, daß die Hinweise auf Scheinhinrichtungen mehr als bloße Gerüchte waren“. Die bisherigen Ausschußermittlungen zu diesem Komplex müßten nun „neu bewertet“, der Scheinhinrichtungsvorwurf „neu untersucht“ werden.

Besonders brisant: Der Vorfall fand zu einem Zeitpunkt statt, als der Scheinhinrichtungs-Vorwurf polizeiintern schon bekannt war und die Ermittlungen gerade in der Revierwache 11 auf Hochtouren liefen. Mahr: „Es muß sich um Beamte gehandelt haben, die sich sehr sicher fühlten“. Damit werden erstmals rassistische Mißhandlungen Hamburger Polizisten behauptet, die nach dem Rücktritt von Ex-Innensenator Werner Hackmann im September 1994 liegen.

Hackmann-Nachfolger Hartmuth Wrocklage hat nun seinen ganz eigenen Polizeiskandal.

Weiterer Bericht auf Seite 4

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen