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Wissen Spiegel-Autoren wirklich mehr?

■ Vom Erdenbürger zum Netizen: Eine eher emotionale Einführung in die Welt der neuen Netze in wohl zehn Folgen / Sechste Lieferung: Die Rückkehr des Abenteurers

Zur Erinnerung: Eines schlimmen Tages war der Autor dieser Serie mal wieder allein, allein. Doch das wollte er nicht bleiben. Also machte der inzwischen zum regen Nutzer des Internet und weiterer neuer Medien mutierte Single aus der Not eine Tugend. Er begann zu chatten, entdeckte Kontaktanzeigen, bekam bald E-mails aus aller Welt. Nach einer längeren Pause und auf vielfaches Bitten und Flehen meldet er sich mit neuen Abenteuern wieder zurück und verrät auch den Grund seines wochenlangen Schweigens.

Kürzlich hat sich sogar der Spiegel mit unserem Thema befaßt. Unter der Überschrift „Am Anfang war das Wort ;-)“ beschrieb ein Herr Kollege seine Erfahrungen mit dem Chatten, berichtete von seinen virtuellen Freundschaften und Enttäuschungen, gestand seine Sucht und schwor schließlich ab.

Das Wort „;-)“ ist ein Emoticon, und wenn Sie, neugierige Leserin und voyeuristischer Leser, die Zeitung oder den Computerbildschirm um 90 Grad drehen, können Sie ein augenzwinkerndes Lächeln erkennen. Laut Spiegel folgt aber auf das „;-)“ vom Anfang ein „:-(“ am Schluß. Die Kontaktaufnahme via Internet macht demnach krank und unglücklich. Der weitere Verfall von Sitten und Kultur ist nur durch eins aufzuhalten: durch das Drücken des Abschaltknopfes.

Zugegeben: Das Chatten, Flirten, Beziehungsanbahnen im Internet kann schief gehen. Aber unter uns: Kann es das im wirklichen Leben nicht auch? Sie werden nicken, an traurige Erlebnisse denken und mit mir einer Meinung sein, daß kaum eine Zeitung wegen schiefgegangener Kontaktaufnahmen im wirklichen Leben ernsthaft von weiteren Versuchen abraten würde. Man nähme sie nicht mehr ernst. Doch ich brauchte eine Weile, um das zu verstehen. Der Spiegel-Artikel hatte mir zugesetzt. Aber dann hörte ich die Geschichte von Kirsten aus D. und Uwe aus K. Beide hatten sich beim Chatten kennengelernt und sich für ein Treffen in B. verabredet. Kirsten aus D. verließ ihren Freund, reiste zum Date mit Uwe aus K., und beide glaubten, sie hätten einander gefunden. Diese Geschichte machte auch mir Mut. Ich schrieb auf Kontaktanzeigen.

Das Internet ist inzwischen voll von Kontaktgesuchen. Nahezu wöchentlich kommen neue, nicht immer seriöse Seiten mit Kontaktanzeigen hinzu.

Klassiker sind Seiten wie www.date.de oder allesliebe.com, auf denen sie ihn, er sie, sie sie oder er ihn sucht. Neben diesen, mit der Konkurrenz in Printmedien vergleichbaren und sie eines nicht fernen Tages auch verdrängenden Seiten warten andere mit Besonderheiten auf.

In der „Flirt-show“ des nach Eigenwerbung ersten deutschen Internet-Kaufhauses www.netzmarkt.de müssen Inserent und Inserentin ein Foto veröffentlichen. Schon das ist unterhaltsam. Aber daß in der Flirt-show auch die Antworten veröffentlicht werden, macht die Lektüre – je nach Stimmungslage – entweder noch unterhaltsamer oder niederschmetternd.

Wie Sie der zuletzt veröffentlichten Folge dieser Serie entnehmen konnten, fassen sich viele Autoren von Antworten ziemlich kurz. Das soll nicht heißen, daß nur lange Antworten zum Erfolg führen. Aber schlichte Antworten landen garantiert im Papierkorb. Hallo Uschi, ich habe Dein Bild gesehen und war hin und weg. Mail doch mal. Tschau, Jürgen, ist so eine schlichte Antwort. Jürgen hat sie auch an Carola, Tanya und Sabine geschickt. Auch ein gewisser Thomas setzt auf Masse. Hi, du süßes Wesen, ich bin beim Surfen zufällig auf deine Anzeige gestoßen und traute meinen Augen nicht. Und deine Hobbies entsprechen voll den meinen. Ich bin 29, wohne in Düsseldorf und arbeite in der Computerbranche. Meine Freundin hat mich gerade verlassen, weil sie sich immer über meine Arbeitszeiten geärgert hat. Aber ich habe ihr gesagt ... Was folgt, wird zu intim. Auch Thomas hatte den gleichen Text an Sabine, Carola und Tanya geschickt. Er wußte offensichtlich nicht, daß er allen zugänglich ist. Oft gewählt, aber sicher erfolglos ist auch folgender Standardbrief: Hallo Uschi, nach den vielen Zuschriften habe ich bestimmt keine Chance mehr. Was muß ich tun, damit du mir (Stefan, 31, einsam in Berlin) antwortest?

Für den Namen „Stefan“ könnte selbstverständlich auch der Name „Andrea“ stehen. Frauen schreiben nur seltener, aber nicht generell besser. Mit dieser Vorbereitung nahm ich all meinen Mut zusammen und schrieb bald die erste Antwort.

Übrigens: Kirsten aus D. und Uwe aus K. haben sich nach ihrem ersten Treffen verkracht. Kirsten aus D. mußte erkennen, daß Uwe aus K. ein Hallodri ist. Als ich das hörte, dachte ich für einen Moment, daß Spiegelautoren doch mehr wissen. Doch ein paar Tage später griff ich schon zum Telefonhörer.

Christoph Köster

Lesen Sie in der nächsten Folge, wie das Ganze langsam wieder anfing, Spaß zu machen.

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