: Auf Kindersuche
■ Selbstorganisierte Eltern-Kind-Gruppen werben für freie Plätze und veranstalten am 26. Juni einen Informationstag
Sechs Wochen Arbeit stecken Ingrid Gaetje in den Knochen: Flugblätter verteilen, Plakate basteln, Werbung machen. Die Eltern-Kind-Gruppe „Ich bin Ich“ an der Feldstraße veranstaltete am Sonntag einen „Tag der Offenen Tür“. Denn der Gruppe fehlt es an Nachwuchs: Eltern und Erzieher wie Ingrid Gaetje mußten deshalb die Werbetrommel rühren. „Wir haben verstärkt mit dem Überleben zu kämpfen“, konstatiert die Erzieherin ausgerechnet zum zehnjährigen Jubiläum des Vereins.
Die Situation im „Ich bin ich“ ist momentan aber eher die Ausnahme denn die Regel. „Jedes Jahr haben immer wieder einzelne Gruppen Schwierigkeiten, ihre Plätze vollzukriegen“, sagt Herbert Förster von der Beratungsstelle für Eltern-Kind-Gruppen des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. Denn die in Vereinen organisierten Elterninitiativen haben keine festen Anmeldefristen wie die Kindergärten: „Da kann man im Juni noch nicht unbedingt die Plätze benennen. Aber kurzfristig kann sich das schnell ändern“, erklärt Förster. Außerdem gebe es „vor allem dann Probleme, wenn mit einem Schlag vier bis fünf Kinder in die Schule kommen“. Das ist auch bei „Ich bin Ich“ der Fall.
Zwar klagen längst nicht alle Gruppen über Nachwuchs- oder gar Existenzkrisen. Aber immer öfter müssen Eltern-Kind-Gruppen Werbung machen. Aus diesem Grund veranstaltet Herbert Förster mit gut einem Dutzend Elterninitiativen am 26. Juni einen Informationstag. Denn durch die Erhöhung der Kindergartenplätze durch den neuen Rechtsanspruch habe sich die „Konkurrenzsituation für die Eltern-Kind-Gruppen verschärft“. Hinzu kommt, daß sich die Elterninitiativen in den Stadtteilen Neustadt und Viertel konzentrieren. „Hier machen sich die Gruppen zum Teil selbst Konkurrenz“, meint Ingrid Gaetje.
„Entstanden sind die Elterninitiativen ja aus der Not heraus, weil es nicht genug Kindergartenplätze gab. Heute dagegen haben Eltern die Wahl, wo sie ihre Kinder hinschicken können“, ergänzt Gabi Helms vom Verbund Bremer Kindergruppen. Gelingt es nicht, ab August wieder zwölf Kinder zu betreuen, werden die Zuschüsse auf die vorhandene Kinderzahl reduziert. „Die laufenden Kosten bleiben aber konstant, so daß die Eltern für den Fehlbetrag aufkommen müssen“, klagt Gaetje.
Trotz dieser Schwierigkeit prophezeit Gabi Helms dem Modell der Elterninitiativen eine „sehr gute Zukunft“. Die kleinen Gruppen (von 12 bis 20 Kinder) und ein guter Personalschlüssel machten die Betreuung in den Vereinen für die Eltern generell attraktiv. In vielen Einrichtungen kommt außerdem eine hohe Flexibilität bei den Öffnungszeiten hinzu. „Zukunftsträchtig“ ist für Förster vor allem die Mitwirkungsmöglichkeit der Eltern: „Viele nehmen das sehr ernst, bringen eigene Ideen mit ein.“ Kinder werden nicht nur „gebracht und wieder abgeholt“ wie im Kindergarten. Statt dessen werden in der Gruppe „Ich bin Ich“ die Eltern an der inhaltlichen Arbeit beteiligt, erklärt Gaetje. Alle zwei Wochen trifft man sich abends, um über die Kinder und die Organisation des Vereins zu sprechen.
Seit den ersten Kinderläden der 68er Generation hat sich einiges geändert an der Rolle der Eltern-Kind-Gruppen. Zum einen ist die Betreuung immer professioneller geworden, weiß Wolfgang Bulling, vom Amt für soziale Dienste Mitte-West (Beratung von Initiativen). Die Elternvereine sind mit den Kindergärten auf eine Stufe gestellt, um den Rechtsanspruch auf Unterbringung zu gewährleisten. Auf der anderen Seite „aber sind die Eltern anders geworden. Das ist nicht mehr so eine ideele Geschichte wie früher“, sagt die Erzieherin Ingrid Gaetje. aus dem Viertel.
Zunehmend schwierig wird es, wenn es um ihre Pflichten geht: Elternarbeit in Form von Putzen und Kochen oder auch Not- und Begleitdienste. In der „Ich bin Ich“- Gruppe kochen die Eltern das Mittagessen und putzen die Räume. Solche Einsätze werden in vielen Vereinen immer seltener. „Früher hat jeden Tag ein Elternteil mitgearbeitet“, erzählt Ingrid Gaetje. Doch das geht heute kaum noch. „Die Berufstätigkeit von Müttern hat sich in den letzten Jahren verdreifacht. Selbst wenn die Eltern wollten, können sie eine solche Leistung heute kaum noch erbringen“, erklärt Förster. Und wenn Erzieherin oder Zivi ausfallen, müssen die Eltern einspringen. Bei langwierigen Erkrankungen aber „kann das bis an die Schmerzgrenze gehen“, erzählt Ingrid Gaetje.
Dorothee Krumpipe
Der Infotag findet am 26. Juni von 10-16 Uhr auf dem Ansgarikirchhof statt.
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