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Platten lügen immer

Auf der Suche nach dem Punkt, an dem Verdichtung und Verdünnung eins werden. Das Schweizer Theaterprojekt Rust.Wolf.Zimmermann zeigt „Die Flecken der Giraffen“ und „Der Schaum der Tage“  ■   Von Tobi Müller

Der Technics-Plattenspieler gehört mittlerweile in einen Theaterfundus wie das weiße Jungfrauenkleidchen und die schmissige Uniform. Scheinbar unschuldig cutten und mixen Poptheatersoldaten überall Stücke auf Vinyltellern. Und Adorno-gestählte Edelfedern protokollieren derweil den neuen Frontverlauf als Ende vom Ende der Aufklärung.

Dominique Rust, Michael Wolf und Joey Zimmermann kommen mit ihren Plattentellern entschieden weiter: zurück zum Anfang –also dahin, wo Vinyl nicht bloß für Trend, sondern für Material steht. Und als Theatermaterial behauptet wird. Mit „Die Flecken der Giraffe“ und „Der Schaum der Tage“ zeigen die drei Schweizer außerdem, daß sie Ausnahmeschauspieler sind, denn: Sie können mit Platten tatsächlich umgehen.

Dabei umgehen sie die Vorlagen der beiden Stücke weitgehend. Garcia Lorca, Dali und Buñuel in den „Flecken“ und Boris Vians Roman „Der Schaum der Tage“ (1947) sind bloß instabile Eckpunkte eines Assoziationsfeldes. Koordinaten eines Netzes, in dem sich auch die Muttergruppe „Klara Theaterproduktionen“ aus Basel immer wieder freudig verfängt. Unter der Supervision von Klara-Regisseur Christoph Frick – Regie will's partout keiner nennen, die Jungen wollen ausschwärmen – weben sich auch hier Klara-gesponnene Fragezeichen durch den Performanceabend. Was ist eine Szene? Was passiert, just bevor etwas passiert? Und wie lange kann ich das hinauszögern und gleichwohl spannend bleiben?

Das Schöne daran ist, daß die drei stets netten Herren nie angestrengt Seminar simulieren, sondern leicht, manchmal wehmütig, meistens aber sehr schnackig und verspielt diesen Fragen körperlich nachgehen. Die Schweiz liegt eben doch südlich, der Schein trügt nicht.

Platten aber lügen immer. Viel trocken-knackig Technoides, Chansonschnipsel und, klar, auch die achtziger Jahre beschwören sowas wie die Annäherung an Erinnerung und Befindlichkeit. Aber nie nur. Zwar hören sie und wir viel Lieblingsmusik, die sich dann doch oft als was ganz anderes herausstellt. Als ausgelagerte Machtmaschinen auch, wenn in den „Flecken“ jeder seinen eigenen kleinen Turm auf Rollen mit sich herumschiebt, als auf- oder hochgestapeltes Sehnsuchtsgeröll vielleicht.

Beim Vian-Abend sehen wir weiße Lamellen im Hintergrund, einen Boden aus Filzvierecken und eine niedrige Spiegelwand sowie ein DJ-Kabäuschen, das mit halbtransparenter Bauplane verhüllt ist: Clarissa Herbsts hipper Theaterraum signalisiert Club und ein wenig Büro. Und viele eher unbrauchbare Lautsprecher bilden die vierte Wand, die hier spricht, die Vinylplatten zu uns rüberschallt oder nur die Nadel geräuschvoll anstehen läßt.

Eine knappe Stunde geben Rust.Wolf.Zimmermann diesem Leben im Club, das immer kurz davor steht, eines zu werden. Die Variationen zum „Schaum der Tage“ sind eine Art minimaler Remix von Vians kurzem, aber vernetztem Leben. Es gibt die Trompete, die in manchem elektronischen Track entrückt trötet; es gibt die Angst vor dem Alter, wenn die Herren mit langen Bärten umständlich lauwarmes Bier trinken; und es gibt den Club als Ort der ungestillten Sehnsüchte.

Cool bleiben ist angesagt: Den eigentätigen Dingen nach Vians Paraphysik gegenüber, dem Leben überhaupt, und hier auch in bezug auf das Theater. Die Premiere in Zürich Ende Februar trieb die szenische Reduktion noch sehr weit, dahin, wo Verdichtung und Verdünnung kaum mehr unterscheidbar sind. Etwas fetter die rund siebzigminütige Arbeit zu den Surrealisten, die schon gut anderthalb Jahre zurückliegt. Die drei brechen Brot zu Breakbeats, wiederholen absurde Rituale, sind wunderbare Neurotiker, die alles und jedes benennen und taxieren müssen und doch kaum Sprache brauchen. Noch nie kam ein gedehnter Schluß im Theater näher an einen metaphysischen Sonnenuntergang heran: Zu dritt und mit Schutzbrillen hocken sie hinter ihren Musikgefährten, endlos rillt die Nadel und schlauft eine alte Männerstimme in den Raum, die traurig und versöhnt zugleich „never found me yet“ säuselt.

Rust.Wolf.Zimmermann bezeichnen die vierte Wand – die Trennung zwischen Bühne und Publikum – gern als Saloontür. Sie geht ständig auf und wieder zu. Die Schauspieler sind zarte Spielboys, die mal als Agenten, dann wieder als Verkörperungen ihrer selbst fungieren; die uns mal freundlich anlächeln und ein bißchen posen, um sich anschließend sofort wieder total zu vergessen. Und die oft leidige Geschichte der entschlossen angezeigten Popkultur auf Stadttheaterbühnen erfährt bei ihnen eine Wendung: weg vom bloßen Ausstellen, hin zur Übersetzung von Erzähltechniken. Man traut es sich fast nicht zu sagen, aber die Schweizer „sampeln“ manchmal tatsächlich.

Dock 11 (Prenzlauer Berg), „Die Flecken der Giraffe“, vom 17. bis zum 20. Juni, „Der Schaum der Tage“, vom 24. bis zum 27. Juni, jeweils 20.30 Uhr

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