: Unterm Strich
Der Job der Massenmedien ist es, um es mal salopp und mutwillig vereinfachend mit Niklas Luhmann zu sagen, Irritationen zu erzeugen. So gesehen kommen sie, die Massenmedien, im Walserschen Debatten-Hype ganz zu sich selbst. Eben noch seine Ablehnung zum Bau des geplanten Holocaust-Mahnmals jedweder Form dahingegrummelt, sieht sich der Schriftsteller Walser nun in den Fängen einer rasant drehenden Mißverständnisspirale. Die „Spediteure des Gerüchts“ (FAZ),polternd im Treppenhaus der deutschen Erinnerungspolitik und gewiß auch ein wenig ratlos. So viel Medienkritik geht immer. Ahnt jemand, wovon die Rede ist? Egal, wir nehmen sowieso alles zurück. Wie gestern der Berliner Tagesspiegel, der nicht länger behaupten will, daß Walser „die Berliner de facto zum Protest gegen das Mahnmal aufgefordert habe“. Hat er aber gar nicht. Jedenfalls nicht so richtig. Ja, was hat er aber nun getan? Auf jeden Fall einen unlauteren Vergleich aufgestellt, zumindest indirekt. Der Tagesspiegel will sich nicht mit dem Nazihetzblatt Stürmer verglichen sehen und fordert Walser zur Rücknahme des Gesagten auf. Nicht wirklich in Form eines Appellativsatzes, aber wir, irgendwie auch im angesprochenen Umzugsgewerbe, verstehen es doch so. Jetzt hilft nur noch eins: Walser, sprechen Sie jetzt. Wir garantieren das Weiterlaufen der Diskursmaschine, erst recht über den 25. Juni hinaus, an dem im Bundestag gesprochen wird. Versprochen. In Ehrlichkeit.
Kaum ist es hingeschrieben, laufen die Agenturen mit weiterem Material darüber hinweg. Das bekannte Sprecherpersonal vorangegangener Debatten meldet sich pflichtbewußt zur Wortergreifung zurück. Zum Beispiel Ignatz Bubis, der Vorsitzende des Zentralrats der deutschen Juden: „Martin Walser hat es nun mal an sich, daß er gerne schwammig spricht und sich anschließend hinter Mißverständnissen versteckt, die er selbst ausgelöst hat. Diese Art zu reden, ohne die eigene Meinung direkt auszusprechen, hat ja bei ihm schon eine gewisse Tradition“, sagte Bubis am Mittwoch dem Berliner Tagesspiegel. „Wenn Walser erst vehement gegen das Holocaust-Mahnmal wettert und dann meint, daß die Berliner eine Wahl haben und sich bei dieser Wahl entscheiden sollen: Was kann das anderes bedeuten als die Aufforderung, der Mahnmals-Initiative einen Denkzettel zu verpassen?“, sagte Bubis weiter. Da stehen, wenn Sie uns fragen, weitere kommunikative Kollateralschäden bevor. Für Friedensgespräche schlagen wir die Hellerhofstraße in Frankfurt vor, wo in den ehrenwerten Hallen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung schon einmal erfolgreich ein Redestillstand verhandelt wurde. P. S. Wie der Produktionsredakteur soeben erfährt, ist bei Klaus von Dohnanyi andauernd besetzt.
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