In einer Art Aufbruchstimmung

■  Eine Bilanz zeigt: In Marokko ist es mit der Pressefreiheit noch immer nicht weit her. Aber Wochenblätter wie die Neugründung „Le Journal“ suchen (und finden) neue Wege

Der Generalsekretär der marokkanischen Journalistengewerkschaft (SNPM), Younès Moudjahid, beschwert sich. Es habe keinen entscheidenden Wechsel in der Pressepolitik gegeben, seit die neue Regierung unter Sozialist Abderrahmane Youssoufi vor anderthalb Jahren an die Macht kam.

Im neuen Jahresbericht der SNPM werden einmal mehr schwerwiegende Verletzungen der Meinungsfreiheit aufgeführt. Vor allem die Fotografen bekämen es immer wieder mit dem Schlagstock zu tun, wenn sie ihrer Arbeit bei sozialen Protesten oder Streiks ernsthaft nachgehen. Die Regierung gebe nach wie vor nur spärlich Informationen an die Presse, alles scheint beim alten. – Und dennoch herrscht in der schreibenden Zunft Marokkos eine Art Aufbruchstimmung.

Die Presse wird frecher, die Regierung hilfloser

Vor allem die Wochenpresse wird frecher. Und die Reaktionen der Regierung auf die neuentdeckte Lust auf Pressefreiheit wirken immer hilfloser. Anders als die an die Parteien gebundenen Tageszeitungen sind die marokkanischen Wochenzeitungen in der Hand von professionellen Verlegern, die ihre Tätigkeit durch Werbeeinnahmen finanzieren. Das bietet einen gewissen Freiraum.

Allen voran versucht sich eine Neugründung unter dem Namen Le Journal erfolgreich an kritischer Berichterstattung. Ob ein Interview mit der Frau des in den siebziger Jahren hingerichteten Putschgenerals Mohamed Oufkir, oder mit Stephen Smith, dem Autor der so eben in Frankreich erschienenen und in Marokko verbotenen Biographie des Mannes, der König Hassan II. gewaltsam von der Macht entfernen wollte – das Blatt kennt keine Tabus.

Was den einen als Schandfleck in Marokkos Presselandschaft gilt (als Innenminister Driss Basri eine marokkanische Wirtschaftsmesse in Brüssel besuchte, veranlaßte der dortige Botschafter des Königreiches, daß der Stand von Le Journal abgebaut wurde, bevor der Minister die Hallen betrat), löste in letzter Zeit bei Menschenrechtsorganisationen und unter Journalisten Begeisterung aus. Doch vor wenigen Wochen wurde Basri das Treiben dann doch zu bunt.

Ganz nach algerischem Vorbild wirkte er auf die Druckereien ein, keine Aufträge von Le Journal mehr entgegenzunehmen. Begründung: angebliche Schulden (die sich schnell als vereinbarte Ratenzahlungen herausstellten). „Ein rein wirtschaftlicher Streit, mit der die Regierung nichts zu tun hat“, hieß die Antwort von Kommunikationsminister Mohamed Larbi Messari auf die Proteste der Blattmacher.

Notlösung als Glücksfall: Gedruckt wird in Frankreich

Der Herausgeber von Le Journal, Ali Amar, nahm den Regierungssprecher beim Wort und schaute sich in Frankreich um. Eine erste Ausgabe wurde bei der Pariser Tageszeitung Libération gedruckt. Dann fand sich eine andere Druckerei – und die Notlösung stellte sich schnell als Glücksfall heraus: Die Druckkosten sanken, und die Qualität stieg, was die Kassen der Anzeigenabteilung klingeln läßt. Unter den Kunden befinden sich selbst halb privatisierte Staatsbetriebe. „Es ist schon verrückt“, schüttelt Amar nun den Kopf: „Le Journal hat mit seiner Arbeit viel dazu beigetragen, daß sich das Bild von Marokko im Ausland verbessert hat.“

In Marokko selbst bleibt es indes schwierig. Zwar organisierte die Redaktion des Staatsfernsehens, um ihre Forderung nach mehr Entscheidungsbefugnissen zu unterstreichen, eine live ausgestrahlte Debatte zwischen dem Chef der Journalistengewerkschaft, Moudjahid, und Kommunikationsminister Larbi Messari. Doch bleibt Moudjahids Bilanz düster: „Keiner der Wechsel, die er versprochen hat, wurden umgesetzt“, sagt er. Die Programmdirektoren von Funk und Fernsehen sind immer noch die alten aus der Zeit vor dem Regierungswechsel, und „der Minister interveniert noch immer bei einem erheblichen Teil der Arbeit der offiziellen marokkanischen Nachrichtenagentur (MAP).“ Moudjahid kann seine Enttäuschung über Larbi Messari nicht verheimlichen. Sind doch beide Kampfgenossen aus alten Tagen: Bis zu seinem Wechsel in die Regierungsmannschaft von Youssoufi war Larbi Messari Vorsitzender der SNPM und Moudjahid seine Nummer zwei. Reiner Wandler