: Großschuldner mit Narrenfreiheit
■ Beispiel Rußland – das Land bewegt sich hart am Bankrott. Doch der Westen ist großzügig aus Angst vor einem politischen Rückfall
Moskau (taz) – Jahrelang hat Rußlands Präsident genörgelt, weil er als achter Partner bei den Verhandlungen der sieben größten Industriestaaten nur zu den Gesprächen über Politik zugelassen wurde, nicht aber über Wirtschaft. Nun ist es soweit: die ehemalige G-7-Gruppe konnte sich bei ihrem gestern beginnenden dreitägigen Treffen in Köln mit vollem Recht G 8 nennen.
Doch ausgerechnet dieses Mal schwebt Boris Jelzin erst am Sonntag für zwei Stunden ein, um noch rasch die Schlußakte zu unterzeichnen. Ansonsten vertritt ihn bei den Gesprächen Premier Sergej Stepaschin. Für diese ungewöhnliche Arbeitsteilung gibt es außer der schlechten Gesundheit des russischen Präsidenten auch einen taktischen Grund: Bekanntlich wird die Kosovo-Frage in Köln der wichtigste Tagesordnungspunkt sein. In diesem Zusammenhang wird sicher auch die Frage gestellt werden, wer den nicht international abgestimmten Befehl zum Einmarsch des russischen Regimentes in Pritina gab. Premier Stepaschin, der über die Aktion mit Sicherheit nicht informiert war, hat bessere Chancen als der Präsident, die internationale Glaubwürdigkeit Rußlands zu reparieren. Zudem wird auf der Tagung auch über die für den zahlungsunfähigen russischen Staat nötige Restrukturierung der russischen Auslandsschulden geredet werden. Jelzin hätte deshalb vor dem Gremium gleichzeitig mit einer drohenden Faust und einer bettelnden Hand dagestanden. Durch seine Abwesenheit wird allen Seiten ermöglicht, ihr Gesicht zu wahren. So richtig G 8 ist eben doch noch nicht.
Was die Umstrukturierung der russischen Schulden betrifft, so sickerte aus der Deutschen Bank die Information, daß die Großen Sieben sich darauf geeinigt hätten, mit allen Mitteln die innenpolitische Situation in Rußland stabilisieren zu wollen, damit es zu den geplanten Parlamentswahlen Ende dieses Jahres und zu den Präsidentenwahlen im Jahre 2000 überhaupt kommt. Ein weites Entgegenkommen des Londoner Clubs (der Vereinigung der Privatgläubiger des russischen Staates) und des Pariser Clubs der Kreditoren (bestehend aus den souveränen Staaten, denen Rußland Geld schuldet) ist Moskau so gut wie sicher.
Abgestimmt ist diese Politik auch mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF). Die erste von drei zu zahlenden Tranchen eines im April bewilligten IWF-Kredites über 4,8 Milliarden Dollar ist zwar noch nicht freigegeben, denn als Bedingung fordert der Fonds neue Gesetze, vor allem eine Kraftstoff und Wodka-Steuer. Und die stößt bei Duma-Abgeordneten auf zähnefletschenden Widerstand. Trotzdem will IWF-Exekutivdirektor Michel Camdessus offenbar nicht schuld sein an einer neuen Krise in Rußland. Auf dem russischen Wirtschaftsgipfel erklärte er Anfang der Woche nach einer romantischen Bootsfahrt mit Stepaschin die Gesetze für nicht so wichtig: „Die einzige Forderung an Rußland besteht darin, daß der Staatshaushalt durchsichtig ist und die Regierung ihrem Volk die Wahrheit sagt“. Barbara Kerneck
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