piwik no script img

Die Rache der Albaner

Die Zurückgekehrten zünden unter den Augen der KFOR-Truppen die Häuser der Serben an  ■   Aus Pristina Erich Rathfelder

Hohe Rauchsäulen stehen über dem Dorf Graca, zehn Kilometer nördlich von Pritina. Auf der ungeteerten Dorfstraße herrscht reges Treiben. Die Anhänger der Traktoren sind mit Möbelstücken und Arbeitsgeräten beladen. In den Innenhöfen der Häuser des von Serben und Roma verlassenen Dorfes schnüffeln albanische Jugendliche herum und suchen nach Brauchbarem.

Inmitten des Dorfes steht ein Panzer der britischen KFOR-Truppen. Hilflos sehen die Soldaten zu, wie kurze Zeit darauf das Haus in Flammen aufgeht. „Wir haben noch keine Befehle erhalten, wie wir uns verhalten sollen“, sagt ein Unteroffizier.

Das 500-Seelen-Dorf Graca brennt. „Wir wollen nur unsere Sachen zurückhaben, die sie uns gestohlen haben“, sagt Izmet Halili. Vor zwei Monaten hätten die serbischen Polizisten und die bewaffneten Zivilisten aus diesem Dorf die umliegenden albanischen Ortschaften überfallen, alles geraubt und alles niedergebrannt. Die Bewohner seien wie er selbst in die Berge geflohen und erst gestern zurückgekehrt.

Wie ist es aber zu erklären, daß jetzt ganze Türen durch das Dorf getragen, Fenster aus den Fassungen gerissen und Öfen abgeschleppt werden? Es wird nicht nur nach den geraubten Gütern gesucht, die Menschen rauben selbst. Ohne Scham und ohne schlechtes Gewissen. Die albanischen Rückkehrer sind nun ihrerseits zu ethnischen Säuberern geworden. „Leute aus diesem Dorf haben meinen Bruder getötet, nicht nur ihn, auch noch fünf weitere Menschen“, sagt ein junges Mädchen. „Die Häuser brennen, damit sie nicht mehr zurückkommen.“ Die aus den Wäldern heimgekehrten Albaner sind unversöhnlich: „Ich will nicht mehr mit Serben zusammenleben“, sagt ein älterer Mann.

Als ein Junge mit einem Sack voller Munition vorbeikommt, die er in einem Haus gefunden hat, beschlagnahmen die britischen Soldaten den Sack. Auch eine Handgranate ist darunter.

Kaum fünf Kilometer von Graca entfernt liegt das berüchtigte Untersuchungsgefängnis Smrkovnica. In einem von Rosen umgebenen Gebäudekomplex wurden bis vor einer Woche 4.300 Gefangene hier festgehalten. Jetzt ist das Gefängnis leer. Nur einige der Wärter sind geblieben. Es sind Albaner.

Sie zeigen einen Raum von fünf mal sieben Metern, in dem 500 Gefangene dicht aneinander gedrängt Tage und Nächte verbringen mußten. Sie zeigen die Räume, wo serbische Sonderpolizisten die Gefangenen geschlagen und gefoltert haben. Sie öffnen die Türen der fensterlosen Kellerräume, wo die gefolterten Gefangenen auf dem kalten Boden liegen mußten. Sie wissen nicht, wie viele Menschen hier gestorben sind, denn sie durften mit den Gefangenen keinen Kontakt haben. So sagen sie wenigstens.

Als vor einigen Wochen 1.200 Gefangene nach Albanien entlassen wurden, hofften diese Wärter, daß auch die anderen freikämen. Sie wurden aber vor einer Woche nach Mitrovica gebracht, 145 von ihnen nach Serbien, 730 nach Stari Trg, dem Bergwerk in der Nähe der Stadt Mitrovica. Sie fürchten nun, daß diese Gefangenen dort ermordet worden sind.

Nur zehn Kilometer weiter nördlich liegt diese Stadt. Mitrovica wurde erst am Samstag von serbischen Polizisten und der Armee geräumt. Auf den Straßen liegen Scherben, die Einfahrt bietet ein Bild der Verwüstung. Die äußeren Viertel, die vor allem von Albanern bewohnt sind, sind entlang der Straße völlig zerstört. Im Stadtzentrum, an einer Brücke, haben französische KFOR-Soldaten einen Kontrollpunkt errichtet. Sie trennen eine Gruppe Albaner von einer Gruppe wütender Serben auf der anderen Seite der Brücke.

Die Serben drohen Albanern, die in das Zentrum der Stadt gehen wollen, Gewalt an. Eine serbische Frau, die durch die Menge der Albaner zu den Serben überwechseln will, wird von einer jungen Albanerin angegriffen.

Die französischen Truppen auf der Brücke halten beide Seiten auseinander. Den vertriebenen Menschen von beiden Seiten helfen können sie nicht.

Die serbischen Zivilisten, unter ihnen Polizisten in Zivil, haben Waffen. Auf der anderen Seite kommen immer mehr UÇK-Soldaten in die Stadt. Auf beiden Seiten fordern Vertriebene, in ihre Wohnungen zurückkehren zu können. Und alle fühlen sich im Recht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen