: Eine große Koalition rückt näher
Unter Hochdruck versucht Israels Premier Barak eine Regierung zu bilden. Die Chancen für ein Zusammengehen mit dem Likud wachsen ■ Aus Jerusalem Susanne Knaul
Israels Koalitionsverhandlungen gehen in den Endspurt. Noch rund zwei Wochen bleiben dem künftigen Premierminister Ehud Barak zur Bildung seiner Regierung. Dem Anschein nach will er die Frist nicht bis zum Ende ausreizen. Und das, obschon er nicht viel weiter ist, als er zu Beginn der Koalitionsverhandlungen war. Derzeit ist ein Zusammengehen mit der Schas oder mit dem Likud oder mit beiden Parteien denkbar.
Die Frage, ob mit oder ohne Schas, wird den Ausschlag für Meretz und Schinui geben. So war es schon vor fünf Wochen. Die einzige dramatische, wenngleich zu erwartende Entwicklung im Verlauf der Verhandlungen war der Rücktritt Arye Deris vom Parteivorsitz der Schas, den ultra-orthodoxen Sephardim (Juden nordafrikanischer Abstammung).
Die Verhandlungen um Regierungsrichtlinien und Ämterverteilung gingen in den vergangenen Tagen rund um die Uhr. Nach wochenlanger Stille zwischen der Partei Ein Israel von Ehud Barak und dem Likud zeichnet sich erneut ein Zusammengehen der beiden größten Knessetfraktionen ab. Der als Verhandlungsleiter eingesetzte Anwalt David Libai erklärte zwar zunächst, daß „die festgelegten Regierungsrichtlinien nicht mehr verändert werden“, doch Barak verordnete dem Verhandlungsteam „Flexibilität“.
Likud-Chef Ariel Scharon würde bei einer Einigung wohl das Amt des Finanzministers übernehmen. Im Gegenzug fordert Ein Israel eine Verpflichtung, die Koalition auch bei Differenzen im Friedensprozeß nicht zu verlassen. Noch verweigert der Likud das. Ferner fordert das Team Ariel Scharons die Veränderung von Baraks Regierungsrichtlinien, die ein Festhalten an den UNO-Resolutionen 338 und 242 vorsehen. Diese schreiben vor allem das Prinzip „Land gegen Frieden“ fest. Damit ist der Frieden mit Syrien im Gegenzug für territoriale Kompromisse auf den Golanhöhen gemeint.
Aus Syrien waren diese Woche zum ersten Mal Töne lautgeworden, die in Israel große Hoffnungen weckten. Von „dramatischen Veränderungen“ in Israel, sprach Syriens Präsident Hafiz al-Assad in einem Interview mit der in Damaskus erscheinenden Zeitung Al Hayat. Der syrische Staatschef nannte Barak einen „starken“ und „vertrauenswürdigen Führer“. Mit Netanjahu sei keine Einigung zu erreichen gewesen, das sei nun anders, so hofft Assad.
Barak steht unter Zeitdruck. Eins seiner Wahlversprechen war es, „unsere Jungs bis zum Sommer 2000 aus der Sicherheitszone wieder nach Hause zu bringen“, was ihm ohne eine Einigung mit Damaskus jedoch nicht gelingt.
In der Frage der Siedlungen entpuppte sich der Likud als rechts von der National-Religiösen Partei (NRP) stehend. Nach eigenen Aussagen sind für die NRP die Koalitionsverhandlungen um die Richtlinien der Regierung zur Befriedigung beider Seiten abgeschlossen. Sollte der Likud in die Koalition einbezogen werden, wird Israel in den kommenden vier Jahren eine deutlich weniger linke Regierung haben, als es sich viele Wähler gewünscht hätten.
Neben Likud und National-Religiöser Partei sitzen dort die ultra-orthodoxen Aschkenasim (Juden europäischer Herkunft) und die russischen Immigranten, die auch nicht unbedingt zum linken Lager gezählt werden können. Gegensteuern könnten zum Teil die Zentrumspartei sowie die sozialistischen „Tauben“ bei Ein Israel.
Mit der Schas sind Einigungen mit Blick auf den Friedensprozeß weniger problematisch. Hier geht es vor allem um den Posten des Innenministers, den Barak offenbar Nathan Scharansky, dem Chef der Israel Be'Aliya, versprochen hat. Überschattet wurden die bisherigen Verhandlungen mit der Schas von einigen unglücklichen Aussagen des geistigen Mentors der Bewegung, Rabbi Ovadia Josef. Der Rabbiner erklärte, daß der Rücktritt des umstrittenen Schas-Vorsitzenden Arye Deri deshalb nötig gewesen sei, weil „die Verbrecher sonst nicht mit uns verhandeln wollten“. Josef gab auch zu, daß der Erziehungsapparat der Schas mit hundert Millionen Schekel (etwa 50 Mio. Mark) verschuldet sei. „Wo sollen wir das Geld hernehmen“, begründete er vor seinen Anhängern die Anstrengungen, die Bewegung noch in die Koalition zu bringen.
Politische Beobachter vermuten, daß die Schas kompromißbereiter sein wird, sollte Barak eine Einigung mit dem Likud gelingen. Dann wäre jedoch die Schinui wieder draußen und Meretz stünde erneut vor der Frage, was schwerer wiegt: Loyalität zum Wähler oder der Friedensprozeß.
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