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Die Frau vom Poster steigt herab

Schon wieder wehrt Steffi Graf erfolgreich den Ansturm der Jugend ab, schlägt die erst 16jährige Kim Clijsters und erreicht das Viertelfinale    ■ Aus Wimbledon Matti Lieske

„Es ist, als wenn der Typ aus dem Poster plötzlich zu euch hinuntersteigt“, hat Michael Jordan einmal die Ehrerbietung europäischer Basketballer für ihn beschrieben. So ähnlich muß sich auch Kim Clijsters vorgekommen sein. Die gerade 16 gewordene Belgierin hatte jahrelang Steffi Graf (30) an ihrer Wand hängen, bis diese einem abrupten Wechsel der Prioritäten zum Opfer fiel und durch Patrick Rafter ersetzt wurde. In Wimbledon war nun wieder Steffi Graf angesagt, doch die Dame aus dem Poster kannte wenig Erbarmen mit ihrer couragiert auftretenden Verehrerin: 6:2, 6:2 hieß es am Ende. Sieben Minuten brauchte Graf gestern, um das Viertelfinale zu erreichen, nachdem die Partie bereits zwei Tage zuvor begonnen, aber wegen der Regenfälle nicht beendet worden war. „Richtig schwer war es eigentlich nicht“, stellte sie fest. Das wird sich im Viertelfinale ändern, wo Graf auf Venus Williams treffen wird, die am Mittwoch den Herzen der Engländer einen herben Stoß versetzte und Anna Kournikova 3:6, 6:3, 6:2 aus dem Wettbewerb beförderte.

Clijsters hatte sich ähnlich wie Jelena Dokic (16) durch die Qualifikation gekämpft und erreichte, anstatt am Montag das Juniorinnenturnier zu beginnen, das Achtelfinale des Hauptevents. Das Trio der Qualifikantinnen wurde komplettiert durch die Kalifornierin Alexandra Stevenson (18), die gestern gegen ihre Landsfrau Lisa Raymond mit 2:6, 7:6 (10:8), 6:1 das Viertelfinale erreichte. Die hat gerade die High School beendet und wußte bis kurz vor Beginn des Turniers noch nicht, ob sie Tennisprofi werden will oder lieber am College Film und Schauspiel studieren. Dann lief es vor Wimbledon aber so gut, daß sie und ihre streitbare Mutter Samantha fanden, für eine spätere Hollywood-Karriere könne es nur hilfreich sein, erst im Tennis berühmt zu werden. Samantha Stevenson war Sportreporterin bei der New York Times, schreibt bereits ein Buch über ihr Wunderkind und sorgte im Tenniszirkus für Aufregung, weil sie rassistische Tendenzen geißelte und urteilte, daß sich die Spielerinnen so biestig aufführen würden wie High-School-Gören.

Alexandra ist als Tochter einer weißen Mutter und eines schwarzen, abwesenden Vaters in San Diego aufgewachsen und hat alles, was man den Kaliforniern nachsagt. Sie ist extrovertiert, frohgemut, schwatzhaft und grenzenlos optimistisch. Während Dokic bei der Frage nach einem eventuellen Wimbledon-Sieg zunächst alle Widrigkeiten aufzählt, zaudert Alexandra Stevenson keine Sekunde. „Als ich 9 war, habe ich mir vorgenommen, mit 19 Wimbledon zu gewinnen“, erklärt sie, „es wäre doch cool, wenn ich es ein Jahr vorziehen könnte.“ Wobei zu bemerken wäre, daß Dokic immerhin gegen Martina Hingis und Mary Pierce gewonnen hat, der größte Sieg der aufschlagstarken Stevenson aber der gegen die Weltranglisten-18. Julie Halard ist.

Zählt man zu den drei Qualifikantinnen noch Venus Williams (19), Anna Kournikova (18), Mirjana Lucic (17) und Nathalie Dechy (20) dazu, ist ein bemerkenswerter Aufstand der jungen Generation zu konstatieren, die letztes Jahr von den Altmeisterinnen noch in die Schranken gewiesen wurden. Diesmal wußten sich nur Novotna, Tauziat und Graf des Ansturms zu erwehren, auf die Deutsche wartet mit Williams die erste echte Belastungsprobe.

Die French-Open-Gewinnerin zeigt sich jedoch immer besser gewappnet. Die Umstellung von Sand auf Gras ist problemlos gelungen, der Aufschlag sitzt, und die Vorhand kommt gestochener denn je. Von der Grundlinie aus wird sie nur sehr schwer zu schlagen sein, die wahre Nagelprobe kommt, wenn sie einer angriffsfreudigeren Kontrahentin gegenübersteht.

Mit Dokic hat Graf einige Male trainiert, und die Australierin ist begeistert über die freundlichen Tips, die sie bekommen hat. Nach Dokics Siegen wird sich Graf in dieser Hinsicht vielleicht ein wenig zurückhalten. Schließlich gibt es das warnende Beispiel Ivan Lendl. Der hatte 1990 einen talentierten Jüngling bei sich trainieren lassen, nur um von dem undankbaren Gesellen postwendend aus den US Open befördert zu werden. Sein Name: Pete Sampras.

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