: Schöne neue ehrenamtliche Welt
■ Am Samstag reanimiert „Blaumeier“ seinen „Fast Faust“. Er mutiert vielleicht zum „Last Faust“, weil es wegen finanzieller Austrocknung die letzte große Aufführung sein könnte
Heiner Müller wendete die antiken Autoren um, Luc Perceval sampelt seit geraumer Zeit Shakespeare, Ute Rauwald plündert Kleists Pentesilea. Nicht wenige halten dieses Abarbeiten an Klassikervorlagen für die spannendste, innovativste Praxis des zeitgenössischen Theaters. Für Blaumeier ist die lustvolle Schändung der Hochkultur seit jeher der (irrwitzige) Normalfall. Goethes Faust ziehen sie pudelnackt aus bis auf des Pudels Kern.
Wo einst ein genialer Gelehrter seine tiefen metaphysischen Zweifel an aller Wissenschaft in kultiviertem Gereime äußern durfte, zeigen Blaumeier einen genervten Durchschnittsstudi, der einfach keinen Bock mehr hat auf Bücher. Und die romantische Liebesgeschichte in hochgestimmtem Fräuleinstone wird heruntergeschraubt zu einer prolligen Aufreiße. Blaumeier unterwandert den Wortsinn durch reichlich querständige Besetzungen (nie waren Engelbeine so männerhaarig), durch Teesiebe auf Engelsbadekappen (gibt es im Himmel Duschbäder?) und durch schweinsnäsige Masken (gibt es in Blaumeiercountry Liebschaften zwischen Tier und Mensch, Igitt?). Aber das wissen ja alle 550.000 BremerInnen noch von den sagenumwobenen Aufführungen in der Liebfrauenkirche her.
Weil die Blaumeier als Bewohner der inoffiziellen „Kulturhauptstadt Bremen“ (ein verbales Erbe der seligen Senatorin Kahrs) die Ehre haben, am 9. und 10. Juli die hochoffizielle Kulturhauptstadt Weimar mit ihrem fast-food-schnellen „Fast Faust“ zu beglücken, zeigen sie ihn – zwecks der Probenökonomie – kurz davor im Pier 2. Geprobt wird in einer idyllisch verschmokelten Lagerhalle an einem Endausläufer eines dieser Hafenkanalarme. Und obwohl die überdimensionierte Puppenbühne recht lange eingemottet schlummerte, war sie sofort wieder da, die faustisch gute Laune des Blaumeierclans. Aber leider können wir hier nicht über zechende Waldwurzelmenschen, die panzerfaustige Stimme Gretchens oder wunderbar chaplineske Kulissenschieber sprechen, sondern müssen uns mit Haut und Haar dem total neuen, normalwahnsinnig spannenden Thema Kulturhauptstadt widmen.
Jenes Ensemble, das von der echten KHS nämlich gerade hofiert wird, kämpft in der selbsternannten, unechten ums Überleben. Für die Betreuung des üppigen Kursangebotes (Theater, Malerei, Musik) plus Verwaltung plus Auftritte bräuchte man eigentlich zwölf Angestellte, überschlägt Geschäftsführerin Hellena Harttung. Trotzdem war man mit dem status quo vom April/99 sehr zufrieden. Der sah in der branchentypischen vogelwilden Mischkalkulation etwa so aus: Das Sozialressort garantierte viereinhalb Stellen. Mit Unterstützung des Arbeitsamtes modelte man daraus zwei feste und sechs ABM-artige Stellen. Doch seit Mai bzw Juni lösten sich sämtliche sechs ABM-Stellen einfach in Luft auf. Mögliche Ursache: Weil die neue Bundesregierung ABM-Gelder offenbar nach den Gesetzen des Chaosprinzips versprühte, gibt es jetzt bundesweit einen AMB-Engpaß (die taz berichtete). Das heißt: Blaumeier vegetiert zur Zeit mit zwei Stellen dahin.
Ob nach Faust noch große Projekte in und außerhalb Bremens durchgepowert werden können, ist fraglich.
Das Ärgerliche: Daß es in Kultur- oder Sozialbehörde keine Menschen mehr zu geben scheint, welche die alte Pfadfinderweisheit kennen, die da lautet: Engpässe sind da, um sie zu umschiffen. Kein Mensch, niemand, der auf den Tisch haut und für eine für Bremen unverzichtbare Institution irgendwo doch noch ein Geldtöpfchen aufstöbert. Es regiert der vielbeschworene Realitätssinn, vulgo: die Laß-laufen-Mentalität: Vielleicht tauchen ja irgendwann noch ABM-Gelder auf. Außerdem – warum sollen nicht Ehrenamtliche hinlangen. Haben diese Sozpäds und Künstler wenigstens was Sinnvolles zu tun. Und schließlich gibt es doch diesen sich als revolutionären Vordenker gerierenden, aber in Wahrheit nichts als die soziale Verarmung affirmierenden Soziologen Ulrich Beck, der die Chuzpe besitzt, mit seinem schnurrigen, fetten Professorengehalt die Ehrenamtlichkeit landauf landab zu predigen.
Einst, zu McKinsey-Hochzeiten, wisperte es aus allen Ecken: Planungssicherheit, Kunst braucht Pla-nungssicherheit. Jetzt erinnert sich niemand mehr daran. Nur in irgend-welchen Eröffnungsreden ist von der Unverzichtbarkeit von Kultur zu hören; die unkalkulierbaren Geldvergabestrukturen aber degradieren die Kulturarbeiter zu Almosenempfängern. Wie alle Kultur-Inis sind es die Blaumeier gewohnt, um ihre Existenz Jahr für Jahr betteln zu müssen. Doch so schlimm wie jetzt war es noch nie. bk
3. Juli, Pier 2, 20h. Achtung: 800 der 1.000 Karten sind schon weg. Kontakt für Fördermitgliedschaft und Spenden: Tel. 39 53 40
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