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Faßt Euch doch mal an die eigene Nase

betr.: „Junge Grüne zeigen Muckis“ u. a., taz vom 28. 6. 99

Recht hat Matthias Berninger, wenn er fordert, daß sogenannte Grüne, die kurz vor der Europawahl zur Nichtwahl der Grünen aufgerufen haben, die Partei verlassen sollen. Im Gegensatz dazu hat Christian Simmert tatsächlich nicht verstanden, worum es geht. [...]

Der „Friedenskongreß“ in Dortmund hat zur Folge gehabt, daß die Grünen bei der Europawahl so schlecht abgeschnitten haben. Simmert, Buntenbach, Ströbele, Kreuz u. v. a. sei Dank. Diese Protagonisten – von ich weiß nicht was für einem Pazifismus – haben den Karren in den Dreck gefahren. Linke Politik definiert sich nicht, wie die MdB Simmert, Buntenbach und der MdL Kreuz uns weismachen wollen, durch Fundamentalopposition, sondern durch Konstruktivität. Dazu gehört auch, daß Parteitagsbeschlüsse mitgetragen werden oder aber entsprechende Konsequenzen gezogen werden. Diese Konsequenz kann dann nur der Austritt und die Niederlegung des Mandates sein.

Die Thesen der „Jungen Grünen“ treffen den Kern der Sache. Tatsächlich hat ein kleiner Teil der grünen Funktionsträger (im Gegensatz zu den grünen WählerInnen) noch nicht begriffen, daß nicht mehr Helmut Kohl und seine reaktionäre Aussitztruppe die Regierung stellt, sondern ein grün-rotes Reformbündnis. Das soll nicht heißen, daß die Politik der amtierenden Bundesregierung nicht kritisiert werden soll – ganz im Gegenteil –, aber bitte lösungsorientiert.

[...] Simmert, Buntenbach, Kreuz und einige andere haben schon seit einiger Zeit die gemeinsame politische Basis verlassen. Da ist die PDS, mit ihren inhaltslosen Phrasen, schon eher die richtige politische Heimat dieser noch grünen Funktionsträger. Und tschüs. Karsten Weymann, Fraktionsgeschäftsführer von B'90/Grüne im Rat der Stadt Hamm

Vielleicht hätte ich doch noch warten sollen, bis mich Matthias Berninger aus der grünen Partei rauswirft. Spannender als sein Pamphlet und Interview hätte dies für alle Beteiligten schon werden können. Dennoch meine ich als Ex-Grüner: Laßt die jungen sogenannten Grünen diese ehemals avantgardistische Partei endlich erledigen. Wer sich am Beispiel der nur noch von Westerwelle und Möllemann am Leben gehaltenen Partei berauschen kann, verdient Wahlergebnisse wie diese FDP bei der Europawahl.

Laßt Berninger und Co. die Abkoppelung von Friedens- und Ökologiebewegung vervollständigen. Wenn sie Glück haben, werden sie einmal erkennen, daß die von ihnen verworfene Politik gerade ihre Zukunft, ihr Überleben in Gesundheit und gesunder Natur zum Ziel hatte. In einer Zeit, in der Modernität eine ahnungslose Umschreibung für Dummheit ist, muß uns soviel politische Blindheit nicht wundern. Prof. Dr. Jürgen Rochlitz, Burgwald

Lieber Matthias, [...] ich frage mich, warum Ihr nicht gleich in die FDP eintretet, wenn Ihr das „brachliegende geistige Erbe des verantwortungsvollen Liberalismus“ aufnehmen wollt? Was bitte versteht Ihr unter einer „Dienstleistungspartei“? Was sind für Euch „überkommene Politikziele? Ich denke, daß die Bündnisgrünen nur eine Überlebenschance haben werden, wenn sie sich weiterhin auf ihren klassischen Politikfeldern (Ökologie, Energie- und Verkehrswende, Gleichberechtigung von Frauen, Friedenspolitik usw.) profilieren. [...] Vielleicht fehlt mir der Machtwille und Realitätssinn, aber dafür bin ich nicht in die Grünen eingetreten, sondern weil die Partei wohltuend anders ist (war?)! Philipp Horn, Karlsruhe

[...] Wer seine Gedanken so deutlich beginnend artikuliert, was denkt der wohl für sich zu Ende? Stalinistische Säuberungen, so als Sprachgeck für innergrün avisierte Ausgrenzung. Ausbürgerung von vorgeblich linken Relikten? [...]

Hätte mensch noch gewisse Sympathien für die vormals gesellschaftskritischen Grünen, dann könnte sie/er diese jetzt aber mal schnellstens endgültig begraben. Obwohl Berninger sich immerhin als nur mal der „nun wirklich letzte“ outet, der „ein Freund stalinistischer Säuberungen“ wäre. Der letzte in einer längeren Reihe, als deren Speerspitze Berninger sich von hinten versteht? Immerhin: Der letzte?, das letzte? – das stimmt dann wieder! Geht es eigentlich bei Grüns noch weiter ins politisch beliebige Parteiengebrabbel? Ja, auch das wird noch gehen ... Kay Lehmann, Dresden

Ich finde das Programm der Jungen Grünen richtig gut: Die Mitglieder, die zum Parteiprogramm stehen, sollen die Partei verlassen, damit die Parteimitglieder, denen das Parteiprogramm der Programmpartei B'90/Grüne egal ist, die nur Macht wollen, die Organisation und das Parteivermögen für ihre Zwecke einsetzen können.

Die Kräfte des Marktes, das Recht des Stärkeren soll in ein neues Verhältnis zu den gesellschaftlichen Anforderungen gestellt werden. [...] Das neue alte Prinzip heißt jetzt: one dollar, one vote; das demokratische Prinzip, ein Mensch, eine Stimme soll anscheinend endgültig verschwinden. Herr Berninger spricht von einer Partei als politischem Dienstleistungsunternehmen; nur will er den bisherigen Wählern der Grünen nicht dienen, er will sich neue suchen. Also doch keine Dienstleistung, sondern reines Machtstreben.

Also, ich wünsche einer solchen gewendeten Partei das gleiche Schicksal wie der anderen Wendepartei, werdet kleiner, werdet kleiner, bis ihr unter fünf Prozent bleibt, und bleibt da dauerhaft. Jens Niemann, Hamburg

[...] Über 50 Prozent der grünen WählerInnen haben uns mit Eurem Kurs bei der Europawahl die Stimme verweigert und sind mangels glaubwürdiger Alternativen überwiegend in die Wahlenthaltung geflüchtet. [...] Wenn Ihr so viele engagierte Basisgrüne aus der Partei auswechseln wollt, wen wollt Ihr überhaupt einwechseln? [...] Wenn Ihr schon die Auswechslung des Personals fordert, dann, bitte schön, faßt Euch doch mal an die eigene Nase. [...]

Grüne Politik muß wieder unterscheidbar werden, eine wirkliche Alternative anbieten, das ist auch für die veränderungsbereite, reformwillige junge Generation attraktiv. Ihr bekommt mit Euren besserwisserischen Yuppiethesen nur Zustimmung in den Medien und beim politischen Gegner, nicht aber im grün-alternativen Jugendverband oder auf der Straße unter arbeitslosen Jugendlichen, und das ist auch gut so. Wer verhält sich eigentlich parteischädigend? Diejenigen, die das demokratisch erarbeitete grüne Programm ernst nehmen oder diejenigen, die es mit Füßen treten und am liebsten in einer anderen, einer liberalen Partei à la FDP wären? [...] Christian Meyer, 23, GAJB-Mitglied im Länderrat von B'90/Grüne, Holzminden

Die Redaktion behält sich den Abdruck sowie das Kürzen von Briefen vor. Die auf dieser Seite erscheinenden LeserInnenbriefe geben nicht notwendigerweise die Meinung der taz wieder.

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