piwik no script img

An Mutters Brust

■  Marianne Faithfull hat die Sixties überlebt – ohne gleich Mick Jagger zu werden. In Berlin sang sie vom Spaß der Vergangenheit

Alles beginnt mit dem Song, mit dem alles von neuem begann. „Broken English“, das Lied, das am Anfang der zweiten oder dritten Karriere von Marianne Faithfull stand, steht auch am Beginn des Konzertes in der zu zwei Dritteln gefüllten Berliner Columbiahalle. Die vierköpfige Band aus verdienten Studiomusikanten spielt ziemlich exakt das nach, was auf der gleichnamigen Platte von 1979 vorgegeben ist. Daran soll sich im Laufe des Abends nichts Wesentliches mehr ändern.

Es folgt eine Ansage, in der sie erklärt, daß sie jetzt einige Lieder von der neuen CD spielen wird. Aber erst die einschlägigen Hits wie „Working Class Hero“ werden mit angemessenem Jubel begrüßt. Es scheint sie nicht zu stören, daß Vergangenes höher im Kurs steht, jede Meinungsäußerung des Publikums nimmt sie mit einem unglaublich huldvollen Lächeln entgegen. „It's wonderful to be back in Berlin“, sagt sie fast so, als sollte man ihr glauben. Dann bewegt sie sich etwas ungelenk im Rhythmus, nimmt noch einen tiefen Zug aus der Zigarette und lächelt und lächelt und lächelt.

Man weiß ja, daß Marianne Faithfull keine Drogen mehr nimmt, aber tatsächlich lächelt sie, als hätte sie irgend etwas genommen, was unsagbar glücklich macht. Vielleicht ist sie aber auch nur von derselben buddhistischen Ruhe erfaßt wie ihre Band. Die kann aus Blues, Rock und eher empfindlichen Balladen jederzeit denselben undifferenzierten, nichtssagenden Nullrock machen.

Nun ist es aber ja so, daß man bestimmt nicht zum Marianne-Faithfull-Konzert geht, um Musik zu hören. Man ist zwar auch da wegen dieser Stimme, die angeblich zwei Oktaven tiefer agieren soll als noch vor 25 Jahren. Aber in erster Linie doch, um sich bestätigen zu lassen, daß die 60er Jahre tatsächlich annähernd so passiert sind, wie es im Spätprogramm öffentlich-rechtlicher Sender immer wieder beschworen wird. Und wenn man Marianne Faithfull, die Frau mit einer Vergangenheit, neben der sich jede andere Vergangenheit ausnimmt wie der Lebenslauf von Gustav Gans, da oben so sieht in ihrem leuchtendweißen Anzug, wie sie die Liebesbeweise des Publikums selbstbewußt entgegennimmt, wird alles wieder lebendig. Nicht nur die berühmten Bilder wie jenes: eingewickelt im Teppich nach der Razzia im Landhaus der Stones. Man kann sich nicht nur vorstellen, wie Bob Dylan die Gedichte zerriß, die er für sie geschrieben hatte, als sie nicht mit ihm ins Bett wollte. Man kann vor allem sehen: Da hat jemand die Sechziger erfolgreich überlebt, ohne gleich Mick Jagger zu werden.

Manchmal wirkt sie allerdings weniger wie ein Popstar, sondern ein bißchen wie die Queen Mom. Beide lächeln freundlich, aber auch ein klein wenig arrogant. Blumen nehmen sie von Verehrern entgegen, so souverän das eben geht. Hier sind es gelbe Rosen. Jeden Song beschließt sie mit einer kräftigen, aber nicht zu flotten Verbeugung. Ihr Verhalten ist jederzeit professionell, aber gibt einem trotzdem das Gefühl, daß man gerade in diesem Moment etwas Besonderes ist.

Bei „As Tears Go By“ schließlich, bei den Zugaben schon, schließt sie mit einer großen ausladenden Geste das Publikum in ihre Arme und drückt es an ihre mütterliche Brust. Der ebenfalls anwesende taz-Musikredakteur ist gerührt. Den dazu passenden Song spielt sie auch: Er stammt von ihrer letzten Platte „Vagabond Ways“ und heißt „File It Under Fun From The Past“.

Dann steckt sie sich eine Marlboro Light an und sammelt Briefe ein, die ihr aus dem Publikum entgegengereckt werden. Wir befinden uns bereits mitten in den streng abgezählten Zugaben. Kein Brecht, kein Weill, überhaupt keinerlei rezitative Stimmung, aber zumindest „The Ballad of Lucy Jordan“ kommt doch noch, und alle sind glücklich. Außer dem Dramatiker und Drehbuchautor Oliver Bukowski. Der geht nächste Woche zu Aerosmith, und er zumindest weiß auch wieso.

Später landete man dann noch auf einem stillgelegten Lastkahn am Ufer der Spree. Zu trinken gab es Cappuccino und Bardolino. Die Klos waren versperrt mit gewaltigen Türen aus milchigem Glas, auf denen nichts stand als jeweils ein einsames Frauen- bzw. Männerzeichen. Die Symbole der Sixties waren endgültig angekommen in der neuen Mitte.

Thomas Winkler ‚/B‘ Marianne Faithfull spielt noch einmal am letzten Tag des Midtfyns Festival, 7. – 11. 7. auf der schönen dänischen Insel Fünen

Souverän und ein klein wenig arrogant nimmt sie wie Queen Mom von Verehrern gelbe Rosen entgegen

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen