„Wie grotesk das ist!“

■ Der irische Nordirland-Spezialist Tim Coogan über die Oranier, die Parade in Portadown und die Unbeweglichkeit der Unionisten

Tim Pat Coogan, 72, ist ehemaliger Chefredakteur der „Irish Press“ und Autor des Standardwerks „The IRA“.

taz: Welche Bedeutung hat die Parade über die katholische Garvaghy Road in Drumcree für die Oranier?

Coogan: Drumcree ist ein Mikrokosmos des Problems in Nordirland und der Spannungen, die durch das Anwachsen der katholischen und nationalistischen Macht ausgelöst werden. Die Demographie verändert sich. Die Gegend um Derumcree war früher protestantisch, und darum geht es. Die Institutionen des Unionismus haben mit den Veränderungen der Gesellschaft nicht Schritt gehalten. Ihre Kultur basiert auf drei Pfeilern: britisches Erbe, protestantisches Erbe und Überlegenheit. Die ersten beiden Punkte müssen wir natürlich verteidigen, aber das Überlegenheitsdenken ist eine Sache der Vergangenheit. Aber sie wissen nicht, wie sie ihre Position im Dialog artikulieren sollen. So fordern sie ihre religiösen und bürgerlichen Freiheiten ein, um zu marschieren, wo man sie nicht haben will. Sie merken nicht, wie grotesk das ist.

Wenn es nur grotesk wäre, müßte man sich ja nicht allzuviele Sorgen machen.

Die Situation ist sehr gefährlich. Wie es weitergehen soll, ist völlig ungewiß. Wir haben das Wochenende hier in Drumcree überstanden, weil so viele Beobachter anwesend waren. Die Oranier haben ihre Heißsporne in Schach gehalten, weil ihnen klar war, daß sie sich sonst selbst schaden würden. Vielleicht haben sie aber auch die Zusage erhalten, daß sie bald über die Garvaghy Road marschieren dürfen, wenn sie sich eine Weile gut benehmen. Das löst aber nicht das Problem.

Aber hat es nicht in den vergangenen fünf Jahren viele Veränderungen gegeben?

Ja. Aber nur auf nationalistischer und republikanischer Seite. Vor allem hat sich die Haltung der Dubliner Regierung sehr stark gewandelt. Sie hat den Republikanern (Sinn Féin und IRA) eine Anerkennung als politische Kraft zukommen lassen, die vor einigen Jahren undenkbar gewesen wäre. Sie hat die Zensurgesetze abgeschafft, sie hat die Republikaner im Regierungsgebäude empfangen, sie hat sich für ein US-Visum für den Sinn-Féin-Präsidenten Gerry Adams eingesetzt. Umgekehrt hat die Regierung die Republikaner davon überzeugt, anzuerkennen, daß der Status von Nordirland nur mit Einwilligung der Unionisten verändert werden kann. Von den Unionisten kam keine Gegenleistung.

Gibt es Hoffnung auf ein Umdenken bei den Unionisten?

Das Problem ist ja nicht nur politisch. Sie mögen keine Frauen. Wie viele Unionistinnen sitzen im nordirischen Regionalparlament, wie viele sind in der Partei, wie viele Frauen waren auf der Oranier-Parade? Sie haben noch einen weiten Weg vor sich, bis sie im 20. Jahrhundert angekommen sind. Dabei haben sie noch gar nicht gemerkt, daß es bald zu Ende geht.

Sinn Féin hat die Verpflichtung der IRA anerkannt, bis Mai 2000 abzurüsten. Wird die IRA ihre Waffen abgeben?

Sinn Féin hat ein großes Risiko auf sich genommen, aber die Partei hätte es nicht getan, wenn sie nicht davon überzeugt wäre, das Versprechen auch erfüllen zu können. Es gibt viele in der IRA, die das ablehnen. Leute wie die Attentäter von Omagh, wo 30 Menschen umkamen, sind ja nicht verschwunden. Und auch die Loyalisten, die die Anwältin Rosemary Nelson gar nicht weit von hier ermordet haben, sind ja noch da. Interview: Ralf Sotscheck