■ Filmstarts a la carte
: Die Realität und ihr Abbild

Neuesten Informationen zufolge hat Wim Wenders gerade eine Reihe von Werbespots für die Deutsche Bahn AG abgedreht. Vermutlich wollte das Unternehmen, das sonst eher Tempo und Effizienz in den Mittelpunkt seiner Kampagnen rückt, mit der Verpflichtung des Regisseurs sicherstellen, daß den potentiellen Absolventen einer Bahnreise nach den vielen Unglücken der letzten Zeit jene gepflegte Ereignislosigkeit suggeriert wird, für die Wenders' Filme so berühmt sind. So hämisch wie das jetzt klingt, ist es gar nicht gemeint. Positiv ausgedrückt: Wenders' Filme verweigern sich dem gängigen visuellen Äquivalent zum Fast Food. Denn der Bruch mit herkömmlichen Erzähltraditionen und der Verzicht auf äußere Aktion zwingen den Zuschauer zu genauerem Hinsehen. Der Schlüssel zu Wenders' Werk findet sich bereits in den ersten Kurzfilmen. In „Same Player Shoots Again“ zeigt der Regisseur fünfmal hintereinander die gleiche etwa zweieinhalbminütige Sequenz, lediglich variiert durch einen veränderten Farbkontrast: E die Straßen einer Stadt und registriert die Veränderungen – indem Wenders die Präsenz des Aufnahmeapparates Kamera deutlich macht, thematisiert er das Filmen selbst. Ein ähnliches Prinzip findet sich in Wenders' erstem langen Spielfilm „Summer in the City“: Auch in den Innenräumen bleibt die Kamera meist starr, die handelnden Personen treten in den Bildkader hinein und wieder heraus. „Alice in den Städten“ ist eine Studie über den Unterschied zwischen der Realität und ihrem Abbild: Zu Beginn sitzt Rüdiger Vogler am Meer, macht Fotos mit einer Polaroidkamera und sinniert, daß auf den Bildern nie das drauf sei, was man tatsächlich gesehen hat. Später wird er gemeinsam mit einem kleinen Mädchen im Ruhrgebiet anhand eines Fotos das Haus ihrer Oma suchen – als sie es schließlich tatsächlich finden, vermag er kaum zu glauben, daß das fotografische Abbild auch in der Realität existiert. Eine umfangreiche Wim Wenders Werkschau zeigen Nickelodeon und Filmkunst 66 bis zum 20. Juli.

Wim Wenders Werkschau 8.7.- 20.7. im Nickelodeon und Filmkunst 66

Beim Filmfest Potsdam widmet man sich in diesem Jahr dem Animationsfilm. Sehr erhellend: „Edeltraud Engelhardts Welt der Schatten“, Heiko Arendts kleiner Dokumentarfilm über die Arbeit der mittlerweile über achtzigjährigen Scherenschnittkünstlerin. Vom ersten Entwurf der Figuren bis zur fertig animierten Szene zeigt der Film, wieviel handwerkliches Geschick und Fummelarbeit neben der künstlerischen Konzeption nötig ist, um nur wenige Sekunden Kino in dieser schönen, aber fast vergessenen Animationstechnik herzustellen. An ihrem Müchhausen-Projekt arbeitet Engelhardt bereits seit vielen Jahren. „Edeltraud Engelhardts Welt der Schatten“ läuft im Vorprogramm von äDer Hauch des kleinen Gottes – Fjodor Chitruk und seine Filmeô, einer Dokumentation über den bekannten russischen Animationsfilmer.

„Edeltraud Engelhardts Welt der Schatten“ 9.7. im Thalia Potsdam 3; Filmfest Potsdam vom 8.7.-11.7.

Noch einmal Animation: Bruno Bozettos bekannteste Figur ist Signore Rossi, der bei seinen alltäglichen Abenteuern immer wieder die Diskrepanz zwischen seinen idealistischen Ideen und der Realität erkennen muß. Gesellschaftskritik mit Humor.

„Herr Rossi macht Ferien“ 8.7.-11.7. im Central 2; „Herr Rossi sucht das Glück“ 10.7.- 11.7. im Central 1, 9.7. im Central 2

Lars Penning