: Wider alles Eindeutige
■ Klangwelten: Ligeti-Hommage in der Freien Akademie
Ein „Gelehrter der Musik“ sei György Ligeti, der das mannigfaltige Umfeld der Tonkunst erfasse, ein weitreichend Gebildeter der Geschichte, der Wissenschaften, der Künste mit Interessen von moderner Biochemie bis zu afrikanischer Mosaikpolyphonie, von Dufay bis zu Kafka.
Über weite Strecken klang Constantin Floros' Vortrag wie eine Laudatio. Der Musikwissenschaftler stellte am Mittwoch abend in der Freien Akademie der Künste seine Monographie des Komponisten einem großen und interessierten Publikum vor.
Floros verfährt oft akkumulativ mit Fakten; das ist gut, denn der enge Kontakt zu den Tatsachen erhält die Anschaulichkeit. Er zeichnet Ligetis Abneigung gegen alles Eindeutige, Wichtigtuerische, Bekenntnishafte und seine Vorliebe für Komplexität, Erdachtes. Dem Expressionismus stehe er fern, neige eher dem Manierismus zu. Als Gegner jeglicher Ideologie liege für Ligeti der Reiz im Irregulären, ja im Doppelbödigen, Phantastischen. Seine „Freude an rhythmischen Illusionsmustern“ entspreche der an optischen Täuschungen. Auf diese Weise spiele Außermusikalisches eine wichtige Rolle in Ligetis synästhetischem Erleben: „Wenn ich Musik höre“, bemerkte der Komponist, „sehe ich auch Farben und Figuren.“ Floros attestiert Ligeti einen unverwechselbaren Personalstil, eine typische musikalische Klang- und Ideenwelt. Wie zum Beweis umrahmten Klavier-stücke aus den frühen 50er Jahren und aus der vergangenen Dekade den Wortteil: Evgeni Koroliov spielte beherzt und kraftvoll aus der noch in Ungarn entstandenen Musica ricercata und aus den Etudes pour Piano.
„Gerührt und ein bißchen beschämt“ reagierte der anwesende Komponist ob der konzentrierten Aufmerksamkeit und sprach in seiner wunderbaren und assoziativen Diktion maßvolle Worte: Trotz seiner 72 Jahre fühle er sich unvollkommen und suche noch immer seinen eigenen Stil. Den Verlust einer allgemein verständlichen Tonsprache quittierte er salomonisch: „Jeder schafft nur Provisorien heute.“ Hilmar Schulz
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen