: Bremer Breminale neu erleben
■ Erfahrungen eines Käfers mit dem Festival und dem dort verkehrenden Publikum / Zwischen Licht und Pommes fettes
Meine Vorfahren erfuhren, daß im Sommer die beste Zeit am Osterdeich zu erleben ist. Deshalb legten sie mich an die Weser. Vor wenigen Tagen bin ich geschlüpft und damit erwachsen. Nun endlich kann ich richtig die Sau rauslassen, Bier trinken und abends lange weg bleiben.
Deshalb treffen wir uns – rege Breminale-BesucherInnen haben uns sicherlich schon bemerkt – zur Zeit immer auf der Breminale, wo sonst? Nein, noch nicht nachmittags, wenn das Hämmern der Kinder über die Weser hallt. Auch noch nicht am frühen Abend, wenn sich das Gelände langsam mit Leuten füllt, die begierig die letzten Sonnenstrahlen in sich aufsaugen und ihre Leiber im optimalen Winkel am Deich bräunen. Um diese Uhrzeit penne ich mit Hunderten meiner Freunde in den Bäumen des Osterdeiches – Erholung von einer anstrengenden Breminale-Nacht.
Erst wenn die Dämmerung hereinbricht wache ich auf. Ich bin der etwa 14 bis 18 Millimeter lange „Amphimalon solstitiale“, Cousin des Maikäfers. Ich genieße zur Zeit mein nur wenige Wochen dauerndes Leben als Käfer.
Was gibt es dabei Herrlicheres, als zuzusehen wie sich die BremerInnen in bester Laune ihre mühsam antrainierten strandtauglichen Figuren wegtrinken. Der Waschbrettbauch verwandelt sich in einen Donut-Döner-Bier-Bauch Außerdem ist es ziemlich cool, den ganzen Tag Musik zu hören. Obwohl ich sagen muß, daß mir dies ganze Getrommel zu sehr auf die Fühler geht. Wie können sich Menschen nur den ganzen Abend Trommeln anhören? Leider gab es unter meinen 792 Freunden einige Verluste zu beklagen. Abgelenkt durch die flackernden Lichter einer wirbelnden Fackel machte es einfach „puff!“ und er war weg. Ein anderer trudelte stundenlang vor einem Zwei-Meter-Lautsprecher, während die australische Band „Baby Porcelain“ Rockklassiker spielte. Seine Körperfunktionen machten schlapp – zu Rockmusik konnte er auch kein Extasy nehmen. Ein Dritter schließlich verlor beim Anfliegen seines Futterbaumes die Selbstkontrolle und stürzte im Ikarus-Effekt in die Untiefen einer Pommesfriteuse. Ich sag da nur Chickenwings.
Als sogenannte Dämmerflieger werden wir angezogen von künstlichem Licht. Leider scheint auch unsere kognitive Wahrnehmung etwas zu dämmern, denn es kommt bedauerlicherweise regelmäßig zu Käfer-Mensch-Kollisionen. Dabei ziehen wir meist den kürzeren, auch wenn manchmal markerschütternde Schreie die Festivalatmosphäre durchschneiden. Don't panic! Man muß doch nicht gleich wie dieser Kreditkartentyp reagieren, der sofort anfing, sein Produkt nach mir zu schmeißen. Zum Glück konnte ich mit geschicktem Flugmanöver dem Feind entrinnen. Ein „Amphimalon solstitiale“ ist absolut ungefährlich. Ich will doch nur die laue Sommernacht genießen und mein Leben dem abendlichen Spaß unterordnen. Also bis heute Abend! Lukas Heiny
Breminale ist noch bis Sonntag am Osterdeich
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