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Eine Provokation ohne eigene Substanz

betr.: „In der Falle freundlichen Schweigens“, taz vom 3./4. 7. 99

Was Feddersen vor allem enthüllt, ist ein Gemengegelage aus Angst vor Resten von Ressentiments und Diskriminierungen, einer Kultivierung des eigenen Opferstatus, der zur schwulen Identitätspolitik immer noch dazugehört (vgl. Artikel von Cristina Nord in derselben Ausgabe), und eine Tendenz zur Diskretion, die das Private bitte schön privat sein lassen will. Die erwähnten Persönlichkeiten aus dem Kulturbereich sind ein gutes Beispiel dafür, daß die Mehrheit der Homosexuellen eindeutig zu den Modernisierungsgewinnern gehört. Sie verkörpern ja geradezu das Idealbild neoliberaler Politik: unabhängig, mobil, selbstbewußt, flexibel, karriereorientiert, und sie werden von der Wirtschaft als zahlungskräftiges Publikum im Tourismus oder dem Wohnungsmarkt zunehmend geschätzt. Aber auch von der Politik und den Instanzen sozialer Kontrolle sind sie praktisch an keiner Stelle mehr diskriminiert.

Wenn Feddersen dagegen auf die geplante Einführung der Homoehe verweist und mögliche Widerstände als infam darstellt, so ist dem entgegenzuhalten, daß der besondere Schutz von Ehe und Familie dieser Gruppe völlig zu Recht versagt ist, weil er um der Kinder willen da ist, nicht etwa wegen Steuerprivilegien. Die sind deshalb bei kinderlosen Paaren abzuschaffen. Eine rechtliche Besserstellung für Partnerschaften, etwa im Erbrecht, gehören nicht in die Eheinstitution. Der Begriff der Homoehe bleibt, was er ist: eine Provokation ohne eigene Substanz. Rolf Hiemer, Tübingen

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