■ Nebensachen aus San Salvador
: Die diskrete Kunst der Korruption. Warum „tramitatores“ ewig leben

San Martin liegt an der Panamericana, die Straße die ja angeblich die „Traumstraße der Welt“ ist. Doch dort, wo San Martin liegt, ist diese Straße alles andere als ein Traum. Als zweispurige Schlagloch-Piste kommt sie von San Salvador her, und San Martin ist das erste Hindernis. Die zwei Fahrspuren verengen sich hier auf eine. Vor diesem Nadelöhr herrscht Dauerstau. Ich habe dort schon Stunden unter sengender Tropensonne in einer Abgas-Wolke verbracht. Die Umgebung ist trist. Entlang der Straße steht eine Hütte neben der anderen, schnell zusammengezimmert aus Holzbrettern und Wellblech. An jeder zweiten Tür steht in großen Lettern „tramites“.

Bevor ich nach El Salvador kam, habe ich das Wort nicht gekannt. Mein Lexikon übersetzt es unzureichend mit „Verfahrensweg, Geschäftsgang, Formalitäten“. Entsprechend ist ein „tramitador“ ein Mann, der solche Geschäftsgänge gegen Geld erledigt. Für diesen Beruf braucht man erstens Geduld. Denn die Geschäftsgänge führen in aller Regel auf Behörden, voll von bürokratischen Fallen. Um denen aus dem Weg zu gehen, braucht man zweitens ein sicheres Gespür dafür, wann welcher Geldschein zwischen die Formulare gesteckt werden muß. Ein „tramitador“ ist deshalb ein Meister der diskreten Kunst der kleinen Korruption.

In San Martin braucht man viele „tramitadores“. Denn längs der fünfzehn Kilometer Straße von San Salvador her liegt eine Autowerkstatt neben der anderen. Man könnte sagen, es handelt sich um Vertragswerkstätten: Fast jede von ihnen hat eine Räuberbande unter Vertrag. Hier werden die Autos auseinandergenommen, die zuvor in der Hauptstadt gestohlen wurden. Nirgendwo gibt es billiger gebrauchte Ersatzteile. Die „tramitadores“ sorgen dafür, daß die Nummer eines Austauschmotors problemlos in die Fahrzeugpapiere eingetragen wird.

Man braucht diese Helfer auch für einfachere Angelegenheiten. Alle 5 Jahre muß der Führerschein verlängert werden, jedes Jahr der Fahrzeugschein. Dafür gibt es im ganzen Land ein einziges Amt, es liegt in der Hauptstadt. Wer diese Formalität selbst erledigen wollte, brauchte mindestens zwei Tage.

Neuerdings aber wird der salvadorianische Staat modernisiert. In mein Büro flatterte eine Pressemitteilung des Transportministeriums, in der behauptet wurde, die „tramites“ für die Verlängerung von Fahrzeug- und Führerschein seien erheblich vereinfacht worden. Ich glaubte es nicht. Doch meine Frau wagte einen Selbstversuch. Und tatsächlich: In nur fünfzehn Minuten war der Fahrzeugschein verlängert. Ich wähnte schon den Berufsstand der „tramitadores“ in Gefahr. Doch das war zu deutsch gedacht. Kürzlich stand ich wieder in San Martin im Stau. Ich stieg aus und betrat eines der Büros. An einem groben Holztisch hämmerte ein Mann auf eine mechanische Schreibmaschine ein. Ich fragte ihn, warum denn die Leute ihre „tramites“ nicht selbst erledigen, jetzt, wo alles so einfach ist. „Wir sagen es ihnen nicht“, gestand der Mann nach einer Weile. „Und wenn es ihnen doch einer erzählt, glauben sie es nicht. Oder würden Sie einem glauben, der behauptet, man könne in 15 Minuten seinen Fahrzeugschein verlängern?“ Toni Keppeler