Zwischen den Rillen
: Frau in control

■ Von Jungsspielen Lichtjahre entfernt: Missy Elliott rappt Überschreitung

Vor zwei Jahren war sie auf einmal da: Missy Elliott. Mit „Supa Dupa Fly“ brachte sie das Album heraus, auf das alle gewartet, das aber niemand erwartet hatte. Nach Lil' Kim und Foxy Brown, die zwar die männliche Hegemonie angekratzt hatten, repräsentierte Missy Elliott für die einen das, was die Babes nicht konnten: die Frau in control. Wenn es hieß „Beep Beep, who's got the keys to the jeep?“, war klar, wer sie in der Tasche hatte; für die anderen war dies das neue Sounddesign, weil niemand sonst jemals so perfekt HipHop und R 'n' B übereinandergeblendet hatte, ähnlich vollendet wie der Sound Of Philadelphia in der zweiten Hälfte der Siebziger mit seiner Fusion von Soul und Funk im Glamour.

Überhaupt Glamour. Neben Busta Rhymes gab es keinen HipHop-Star, dem der Video-Regisseur Hype Williams so irre Videos verpassen konnte. Ob er sie in einen schwarzen, aufgepusteten Plastikanzug steckte, in einem Videospiel über virtuelle Planetenoberflächen jagte oder ob sie durch dunkle, an Hongkong-Geisterfilme angelehnte Wälder ritt – nach den Gucci-&-Champagner-Videos setzte Missy Elliott sich und dem Genre neue Kronen auf.

Und nun: Erstaunt stellt man fest – es geht noch drüber. „Supa Dupa Fly“ hört sich fast schon konventionell an im Vergleich mit seinem Nachfolger. Genau so funktioniert das Missy-Elliott-Timbalandsche Sounddesign: höchstmögliche Komplexität bei gleichzeitiger größtmöglicher Eingängigkeit. Um ein Stück zu schreiben, brauche sie, wenn sie mit Timbaland im Studio sei, höchstens dreißig Sekunden, gibt sie in der aktuellen Ausgabe des HipHop-Magazins The Source zu Protokoll: Das muß wohl das Millennium sein.

Wer solcherlei Übermenschliches vollbringt, darf auch im Latex-Kampfanzug aus Matrix vom Magazin-Cover blicken. Und wahrscheinlich geht das auch gar nicht anders, denn wer rappt, singt, produziert, performt und außerdem noch Chef seines eigenen Labels ist, kann nicht übermäßig viel Zeit mit den einzelnen Dingen verbringen. Zumal Missy Elliott das ja nicht nur für sich macht. Seit ihrem Debut-Album hat sie für SWV, Aaliyah, Mel B., Total, Whitney Houston und Janet Jackson Stücke produziert, außerdem noch einen Soundtrack – auf dem Debut ihres Produzentenkumpels Timbaland ist sie ebenfalls omnipräsent. Nebenbei war sie auch noch mit dem amerikanischen Frauen-Independent-Festival-Zirkus Lilith Fair auf Tour.

Und nun „Da Real World“. Von Eminem über Redman und Da Brat bis zur wunderbaren Aaliyah und MC Solaar reicht die Liste der Gastperformances, sogar Lil' Kim gibt sich die Ehre. Und alleine das Auftaktstück, ein Duett mit Eminem, ist besser als der gesamte Back-Katalog des in weißen Hipsterkreisen als Wiedergeburt des HipHop aus dem Geist der Old School gehandelten New Yorker Indielabels Rawkus. Word Up. Denn wo dort eigentlich nichts anderes probiert wird, als einen bestimmten Claim abzustecken und HipHop auf ein Gebiet zu beschränken, das bestimmten Regeln gehorcht, definiert Missy Elliott ihre eigenen Regeln. Von dem Spezialistentum und der Jungs-Bescheidwisserei ist sie Lichtjahre entfernt. Wo all die Independent-Plattensammler und -Plattenkratzer versuchen, eine männliche Hegemonie wiederaufzurichten, die in den letzten Jahren ins Wanken geraten war, kontert Missy Elliott mit neuen Körperentwürfen. Dies ist keine Musik aus der Beschränkung heraus, dies ist The Sound Of Überschreitung. Eine Überschreitung, die so perfekt inszeniert ist, daß man sie als solche kaum noch wahrnimmt.

Das hat auch, aber nur wenig, mit den Lyrics zu tun. Hier werden alle möglichen verschiedenen Arten von Bitchtum durchdiskutiert. Wenn ein Hot Boy zu Missy aufs Zimmer will, sollte er besser seine Kumpels mitbringen, zumindest wenn sie so süß sind wie er selbst. Und Jungs, die nicht für die Klamotten aufkommen wollen, wird die Loyalität aufgekündigt. „Bitch“ wird als Begriff benutzt, den nur starke Frauen für sich in Anspruch nehmen könnten, die weibliche Variante von „Nigga“ quasi. Solange der Mensch dem Mensch ein Wolf ist, sind natürlich die Fragen der Geschlechterbeziehungen nicht erledigt. Doch die Stärke von Missy Elliotts Entwurf einer „real world“ liegt auf der Ebene des Sounds.

Der ist verschachtelt und verspielt, einfach und kompliziert gleichzeitig, frei von Kompromissen und doch als globaler Millionseller angelegt. Ob gesungen oder gerappt, Missy Elliott schreibt das weiter, was sich nach ihrem Debut schon durch die Platten von Genuwine, Timbaland und Total zog. Ein Genre in seinen eigenen Rechten zu entwerfen. Glamourös und radikal diesseitig, ein Ort, wo alle Körper Platz haben.

Das muß sie sein, „Da Real World“. Wegen der Utopiefreiheit, weil sich diese Welt als die HipHop-Variante von Realpolitik darstellt, oder weil dies jetzt wirklich der next Level ist, den immer alle ankündigen, aber kaum jemand je liefert, und sie somit die Scheiße real hält, wie es im HipHop immer heißt? Weil sie das Genre neu erfindet? Oder ist es einfach der Tatsache geschuldet, daß hier das Studio zum Klingen gebracht wird, und derjenige hinter den Reglern und der Trennungsscheibe, Timbaland also oder Missy Elliott, ständig seine Kommentare über den Monitorlautsprecher in die Tracks hineinspricht? Tobias Rapp

Missy Misdemeanor Elliott: „Da Real World“ (Gold Mind/EastWest)