: Ein Drittel fürs Gemeinwohl
Mit Hilfe des bundesweit einmaligen Projekts „combishare“ verkürzen Berliner Berufstätige ihre Arbeitszeit in ihrem Betrieb. Und ackern nebenbei in Schülerläden und Kulturprojekten, bezuschußt vom Arbeitsamt ■ Aus Berlin Barbara Dribbusch
Liane ist klasse. Erstens kann sie indisch kochen, rote Linsen mit getrockneten Aprikosen und Möhren zum Beispiel. Und zweitens arbeitet sie kostenlos. Kostenlos für den Schülerladen „Biberzahn“ im Berliner Bezirk Kreuzberg. „Liane hat mir schon viel geschenkt“, strahlt die kleine Lisa. Auch Liane Thiele ist ein Geschenk, gewissermaßen.
Die 37jährige macht eigentlich die Buchhaltung in einem Ingenieurbüro mit elf Mitarbeitern. Sie erledigte die Korrespondenzen und Abrechnungen für die Kollegen, 35 Stunden pro Woche. Bis eines Tages die Leute von „combishare“ ins Büro schneiten und Thiele und ihren Kollegen ein verlockendes Angebot machten.
Dem Ingenieurbüro, das wußten die combishare-Berater, ging es nicht mehr so gut. Die kleine Firma hatte sich auf die Herstellung von Anlagen für Wartenummern in Behörden spezialisiert. Ein begrenzter Markt. Als große Konzerne miteinstiegen, wurde es eng. Doch rausschmeißen wollten die Chefs niemanden. „Schließlich sind wir fast wie eine Familie“, sagt Liane Thiele. Da kam das Angebot von combishare gerade recht.
Sie könnte doch ihre Arbeitszeit eine Weile lang auf 21 Stunden verkürzen und 14 Stunden gemeinnützig arbeiten, rechneten die combishare-Berater vor. Den Lohn für die zwei Wochentage im Schülerladen übernimmt größtenteils das Arbeitsamt. Die Firma spart Lohnkosten, die SchülerInnen freuen sich, und Thiele bleibt trotzdem drei Tage ihrem alten Job erhalten. Sie selbst bekommt unterm Strich das gleiche heraus wie zuvor. „Abgeschoben“, meint sie heute, „fühle ich mich überhaupt nicht.“ Vier weitere Mitarbeiter in der Ingenieurfirma haben vom combishare-Angebot Gebrauch gemacht.
Seit Mai dieses Jahres läuft in Berlin das nach eigenen Angaben bundesweit einmalige Projekt. „Eine kreative Idee“ für Betriebe in „problematischen Situationen“, werben die Berater vor Ort. Kleine Firmen, die wegen vorübergehender Auftragseinbrüche eigentlich Personal entlassen müßten, können ihre Leute so bis zu einem Jahr lang auf Teilzeit setzen und Kosten sparen, ohne daß die Mitarbeiter ihr Einkommensniveau einbüßen, erklärt combishare-Berater Stephan Bloesy. Das Arbeitsamt übernimmt im Schnitt ein Drittel der Gehaltskosten.
60 Beschäftigte, meist aus Handwerksbetrieben mit wackeliger Auftragslage, haben schon Kombi-Job-Verträge abgeschlossen. Ihre gemeinnützige Arbeit haben die combishare-Berater zuvor in Berliner Schulen, Kinderläden und Kulturprojekten aufgetan.
„Am liebsten“, erzählt Thiele freimütig, „hätte ich was mit Paddeln gemacht.“ Sportlich war sie schon immer. Aber auf der Liste der gemeinnützigen Arbeiten, die ihr die Berater vorlegten, war Kajakpaddeln nicht enthalten. Statt dessen konnte sie wählen unter Hausaufgabenbetreuung, Gärtnerarbeit oder dem Schülerladen. Die Wahl fiel leicht. „Durch meine Tochter habe ich schon Erfahrung mit Schülerläden.“ An ihren zwei gemeinnützigen Tagen zieht sie los mit den SchülerInnen zum Brennballspielen oder Schwimmen. „Nur mit dem Winter habe ich etwas Bedenken, weil ich nicht der Basteltyp bin.“
Ein Kollege von Thiele, im Ingenieurbüro als Software-Installateur tätig, bringt an seinen gemeinnützigen Tagen Kindern in einer Schule Computerwissen bei. Ein zweiter Kollege, Elektroingenieur, bastelt an der Lichttechnik in einem Kreuzberger Kulturprojekt. Einer Sekretärin aus einem Handwerksbetrieb haben die combishare-Berater gemeinnützige Arbeit in einer Schule vermittelt: Sie verschickt von dort Elternbriefe und betreut nachmittags Kinder.
Trotz der verlockenden Subventionen ist es gar nicht so einfach, mitmachwillige Betriebe zu finden. „Viele Firmen entlassen lieber, als die Leute erst mal für ein Jahr auf Teilzeit zu setzen“, so Bloesy. Denn die zentrale Frage bleibt: Was ist nach einem Jahr, wenn die Subventionierung ausläuft? „Vielleicht geht es uns dann wieder besser“, hofft Liane Thiele.
Unsicherheit gehört auch für die combishare-Berater zum Leben: Sieben Festangestellte und vier lohnbezuschußte Kollegen arbeiten in der Vermittlung, in die auch EU-Mittel fließen. Die akademisch gebildeten Berater haben zuvor in Nachbarschaftsheimen organisiert, kommen aus anderen Beschäftigungsprojekten und hangelten sich auf AB-Maßnahmen und mit befristeten Verträgen durchs Leben.
„Wir leben unser Modell vor“, scherzt Beraterin Andrea Brandt. Ob das Projekt länger als ein Jahr gefördert wird, ist völlig offen.
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