: Das lange Warten auf den Frieden
In Kolumbien beginnen am Montag neue Friedensgespräche zwischen der Farc-Guerilla und der Regierung. Beide Seiten können mit einem Scheitern gut leben ■ Von Ingo Malcher
Die beiden Herren sind Dienstreisende in Sachen Waffenbeschaffung. Der kolumbianische Verteidigungsminister Luis Fernando Ramirez und der General Fernando Tapias bestiegen am Donnerstag in Bogotá das Flugzeug in Richtung Washington. Im Gepäck haben sie Berge von Papier, Fotos und Videokassetten. Anklagematerial gegen die Guerillaorganisation „Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens“ (Farc). Die Unterlagen wollen sie der US-Regierung, Nichtregierungsorganisationen (NOGs) und Menschenrechtsgruppen zeigen. Kolumbiens Regierung wirft der Farc vor, die Menschenrechte in der von ihr kontrollierten Zone zu verletzen und immer tiefer in den internationalen Drogenhandel einzusteigen. Doch für die beiden Reisenden geht es um mehr als nur Reklame für die Politik des farblos aussehenden Präsidenten Andrés Pastrana. Kolumbien will 500 Millionen Dollar Militärhilfe von den USA. Vor allem neue Hubschrauber und Radarsysteme möchte Verteidigungsminister Ramirez haben. Neues Gerät sei nötig um dem Drogenschmuggel und der Guerilla beizukommen.
In den vergangenen sechs Tagen sind bei Gefechten zwischen Farc und Armee nach Angaben der Streitkräfte 360 Menschen ums Leben gekommen. 300 davon seien Guerilleros. Trotz der für Montag angesetzten Friedensgespräche startete die Guerilla eine militärische Großoffensive in 12 der 32 Departments des Landes. „Sie wollen am Verhandlungstisch stark aussehen“, kommentiert Präsident Pastrana die Taktik der Farc. Er macht gute Miene zum bösen Spiel. „Man muß verstehen, daß die Verhandlungen noch nicht begonnen haben.“
220 Kilometer südlich von Bogotá wollen sich Regierung und Farc am Montag in der Ortschaft La Uribe in der von der Guerilla kontrollierten Zone an einen Tisch setzen. Ein Vorwurf der Armee gegen die Farc lautet, daß sie ihre Angriffe in der entmilitarisierten Zone vorbereitet und sich dorthin auch wieder zurück flüchtet. Seit Anfang November hat sich die Armee aus einer Fläche so groß wie die der Schweiz komplett zurückgezogen und das Gebiet der Guerilla überlassen. Dies war die wichtigste Bedingung der Farc für die Gespräche mit der Regierung. Am Donnerstag wurde bekannt, die Farc habe seit November in der von ihnen kontrollierten Zone elf Menschen ermordet, denen sie vorwarf Informationen an die Streitkräfte geliefert zu haben. 35 weitere Personen gelten als vermißt. „Es ist erschreckend für die Welt: Man hat dieser Gruppe eine Möglichkeit gegeben und sie antwortet blutig darauf und wendet die Todesstrafe an“, kommentierte Verteidigungsminister Ramirez.
Bei den Verhandlungen soll ein Zwölfpunkteplan diskutiert werden. Es geht vor allem um soziale Reformen, das Wirtschaftsmodell, die Modernisierung der Streitkräfte und die Drogenbekämpfung. Zunächst einigte man sich darauf internationale Beobachter in die von der Farc kontrollierte Zone zu schicken.
Sollten die Verhandlungen scheitern, hält es Pastrana durchaus für möglich die von der Guerilla kontrollierte Zone zurückzuerobern. „Die Armee hat sich in den vergangenen drei Jahren stark verändert. Sie wurde umgestellt und hat heute eine bessere Operationskapazität“, so Pastrana. Sein Verteidigungsminister spricht da eine deutlichere Sprache: Die Armee müsse bereit sein in den Krieg zu ziehen, sollten die Verhandlungen scheitern. Gerüchte über eine mögliche US-Intervention gegen die Guerilla bügelt Pastrana ab: „Das wird es nicht geben solange ich Präsident bin.“ Auch die Farc setzt nach Ansicht des Politologen und Regierungsberaters Alfredo Rangel im Falle eines Scheiterns der Gespräche auf Krieg. „Mit der Offensive der vergangenen Woche ist die Botschaft der Farc klar: Wenn es am Verhandlungstisch keine Lösung gibt, wartet ein schlimmer Krieg auf das Land.“
Inzwischen macht sich in Kolumbien Ungeduld breit. Der Chef der oppositionellen Liberalen Partei, Horacio Serpa, fordert von der Regierung „schnell zu handeln“ und zweifelt an der Glaubwürdigkeit von Pastranas Friedensbemühungen. Damit ist er nicht allein. Nach einer Umfrage der Tageszeitung El Tiempo glauben 65 Prozent der Kolumbianer nicht daran, daß die am Montag beginnenden Gespräche etwas bringen. 64 Prozent glauben, Pastrana lasse sich von der Farc die Spielregeln diktieren. Pastrana war im vergangenen Jahr mit dem Versprechen angetreten, sich mit der Guerilla an einen Tisch zu setzen und einen Friedensvertrag auszuhandeln. Bis heute sieht es aber lediglich so aus, als hätte Pastrana alle Forderungen der Farc abgenickt. Vermutlich wird er solange Zugeständnisse machen, bis die Guerilla alles Vertrauen, das man ihr entgegengebrachte, verspielt hat. Dann kann Pastrana einen Militärschlag anordnen und sich rechtfertigen, er habe keine andere Wahl mehr gehabt und wolle sich nicht länger auf der Nase herumtanzen lassen. Dem Vorsitzenden seiner eigenen Partei, Enrique Gomez Hurtado, ist bereits der Geduldsfaden gerissen: „Es ist klar, daß die Farc nicht den Frieden sucht, sie greifen die kolumbianische Gesellschaft an, morden und entführen Kolumbianer.“ Wenn sich am Montag Regierung und Guerilla an einem Tisch setzen, werden konkrete Ergebnisse wohl lange auf sich warten lassen. In 40 Jahren Bürgerkrieg sind der Farc die politischen Ideen abhanden gekommen. Ihr politisches Projekt wurde durch die Logik der Gewalt ersetzt. Auch ist nicht sicher, welches Interesse sie an einem Friedensvertrag haben könnten. Die kolumbianische Guerilla ist die einzige Guerillabewegung, die in Lateinamerika überlebt hat – weil sie sich mit Geldern aus dem Drogenhandel und des Entführungsgeschäfts prächtig selbst finanziert. Die Farc lebt von der Unregierbarkeit des Landes.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen