„Willst du mein Kapitän werden?“

■ Der 102jährige Gregorio Fuentes war nicht nur Hemingways Kapitän, er erfand auch den Titel für „Der Alte Mann und das Meer“. Noch heute erzählt er für 50 Dollar seine Erlebnisse

Gregorio Fuentes ist ein Seewolf, abgehärtet vom Rum, der brennenden Sonne, dem Leben und den Stürmen. Nur zur See fährt der Kapitän nicht mehr. Schon seit 38 Jahren nicht mehr. Das hat er damals geschworen. An dem Tag, an dem er vom Tod Ernest Hemingways erfuhr und davon, daß ihm der Schriftsteller sein Boot, die „Pilar“, überließ, war für Fuentes die Fischerei zu Ende. Heute sitzt er im Sessel und erzählt: „In seinem letzten Sommer fuhren wir nach Cayo Paraiso zum Fischen. Hemingway fühlte sich auf einmal schwach und krank. Dann fuhr er in die USA, und ihm wurde gesagt, daß er Krebs hätte. Das hat er nicht verkraftet“, berichtet der Mann, der lange Jahre Hemingways Käpt'n war.

Seitdem ist der heute 102jährige nie wieder zum Fischen in den Golfstrom gefahren, und die Pilar durchkreuzt das Karibische Meer nur noch in seinen Geschichten. Fuentes spinnt gerne Seemannsgarn: „Ich war es, der dem Roman ,Der Alte Mann und das Meer‘ den Titel gab“, behauptet er steif und fest, während er an einer dicken Havanna zieht. „Eines Tages fuhren wir mit der Pilar in Richtung Puerto Cabañas und fanden vor der Küste ein Boot, in dem ein alter Mann und ein Junge fischten“, erzählt Fuentes. „Hemingway ließ mich nah an das Boot ranfahren und fragte den Mann, ob er etwas brauche. Dann ließ er mich ein Paket mit Essen und Getränken für den Jungen fertig machen. Aber der Alte wurde plötzlich furchtbar wütend und brüllte: ,Hau ab, du Scheiß-Amerikaner.‘ Das muß ihm ordentlich Eindruck gemacht haben, und später sagte er zu mir, er wolle darüber eine Geschichte schreiben. Dann fragte er mich, was für einen Titel er der Geschichte geben soll, da sagte ich ihm: ,Haben wir nicht einen Alten getroffen? Und war der nicht mitten im Meer? Na bitte, da haben wir schon den Namen der Geschichte.‘ “ Die Pilar steht mittlerweile in einem Museum. Im Haus von Fuentes sind nur wenige Andenken geblieben. Die Angelroute, mit der Hemingway gefischt haben soll, steht noch im Wohnzimmer. Fotos gibt es nur in einem Bildband: Besucher mit Sammelleidenschaft haben die Originale mitgehen lassen.

Hemingway und Gregorio Fuentes haben sich 1932 in Cayo Tortuga kennengelernt. „Ein heftiger Sturm fegte über den Golf hinweg, und Hemingway war ohne Sprit auf einer kleinen Insel gestrandet“, erzählt Gregorio, der kurzentschlossen rausgefahren war, um den Schriftsteller zu retten. „Hemingway hielt die Insel für bewohnt, aber ich erklärte ihm, daß es dort nur ein Notruftelefon gab. Danach fragte er mich, ob ich sein Kapitän sein wollte. Er ließ sich damals gerade in den USA die Pilar bauen“, erzählt Fuentes.

Heute wie damals lebt Fuentes in dem kubanischen Fischerort Cojimar, gut eine halbe Stunde von der Hauptstadt Havanna entfernt. Hier wurde 1956 „Der Alte Mann und das Meer“ verfilmt. Zu den Dreharbeiten wurden fast alle Fischer des Ortes als Statisten angeheuert. Auf die Frage, ob er Probleme habe, winkt Fuentes mit seinen 102 Jahren locker ab: „Ich habe keine Probleme. Das einzige, das mir fehlt, sind Dollars, um Medikamente zu kaufen.“ Daher läßt ihn seine Familie auch die Geschichten mit Hemingway nicht mehr gratis erzählen. Sein Neffe kassiert 50 Dollar die halbe Stunde. Ingo Malcher, Cojimar