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Eine Brücke an die Oder

Die bei den Präsidentenwahlen an der Freien Universität gescheiterte Politologin Gesine Schwan wird heute an die Spitze der Frankfurter Viadrina gewählt. Unter Studenten gilt die Hochschule als klein, aber fein  ■   Von Ralph Bollmann

Heute wird es keine Zitterpartie. Vor anderthalb Monaten noch war die Berliner Politologin Gesine Schwan bei der Präsidentenwahl an der Freien Universität (FU) überraschend deutlich gescheitert. Was sie in Berlin nicht schaffte, wird ihr heute in Frankfurt an der Oder gelingen: Der Senat der dortigen Europa-Universität wird Schwan aller Voraussicht nach nahezu einstimmig an die Spitze der Hochschule wählen.

Damit rückt eine Hochschule stärker ins Blickfeld der Hauptstadt, die ohnehin beinahe eine Berliner Insitution ist. Jedenfalls pendeln nicht wenige der 55 Professoren zwischen den beiden Städten hin und her, und viele Studenten suchen sozialen und kulturellen Anschluß eher in Berlin als in der wenig urbanen Oderstadt. An den Berlinern liegt es auch, daß die 1506 gegründete brandenburgische Landesuniversität Viadrina („die an der Oder gelegene“) 1811 ihre Pforten für 180 Jahre schließen mußte – durch die Gründung der heutigen Humboldt-Universität war sie schlicht überflüssig geworden. Erst nach der Neugründung des Landes Brandenburg erstand die Viadrina wieder auf.

Mit rund 3.000 Studenten und drei Fakultäten besitzt Frankfurt eine der kleinsten, aber auch ungewöhnlichsten Hochschulen in Deutschland. Nicht allein, daß ein Drittel der Studienplätze an Bewerber aus Polen vergeben wird, die sich vom Jura- oder Wirtschaftsstudium in der Oderstadt beste Berufsaussichten versprechen. Ungewöhnlich ist auch das Fächerspektrum: Als dritten Studiengang bietet die Hochschule das Fach Kulturwissenschaften an – ein interdisziplinäres Curriculum, das die Studenten zunächst mit sämtlichen Geistes- und Sozialwissenschaften vertraut macht, bevor sie sich auf eine Disziplin spezialisieren. Natur- oder Ingenieurwissenschaften gibt es nicht, dafür sind die anderen brandenburgischen Hochschulen in Potsdam und Cottbus zuständig.

Schwan, die im Oktober den amerikanischen Politologen Hans Weiler an der Uni-Spitze ablöst, zeigt sich begeistert vom „innovativen Potential“ ihrer neuen Wirkungsstätte. Sie verschweigt nicht, daß der Gedanke an einen Wechsel in die Oderstadt gewöhnungsbedürftig war. Auf die Stadt sei sie „sehr neugierig“, sagt sie höflich. Gewiß gelte der Ort als „schwieriges Pflaster“, aber sie habe nicht den Ehrgeiz, „Frankfurt missionieren zu wollen“.

Zunächst war Rita Süssmuth für das Amt im Gespräch gewesen, doch die frühere Bundestagspräsidentin hatte nach langer Bedenkzeit abgesagt. Da war es für die Viadrina „ein Glücksfall, daß Gesine Schwan an der FU nicht gewählt wurde“, sagt Alexander von Brünneck, Dekan der Frankfurter Juristen. Die Kandidatur der Berlinerin sei an der Uni auf „allgemeine Zustimmung“ gestoßen.

Die neuen Kollegen erwarten vor allem, daß Schwan die Hochschule im armen Brandenburg finanziell absichert und ihren deutsch-polnischen Anspruch mehr als bisher einlöst. Die Hoffnungen scheinen nicht unberechtigt zu sein: Die Sozialdemokratin verfügt über exzellente Kontakte zu Politikern und hat dem Potsdamer Wissenschaftsminister Steffen Reiche (SPD) bereits zwei zusätzliche Professuren abgehandelt. Außerdem spricht Schwan, die über den polnischen Philosophen Leszek Kolakowski promoviert hat und über Beziehungen zu früheren Dissidenten verfügt, fließend Polnisch.

Vielleicht hilft es der künftigen Uni-Präsidentin auch, daß sie ihre Ziele zunächst nicht allzu hoch steckt. Das Ungleichgewicht, daß zwar alle polnischen Studenten perfekt Deutsch, aber nur wenige deutsche Studenten halbwegs Polnisch sprechen, wird sich nach ihrer Ansicht so schnell nicht beheben lassen. Da mache sie sich „keine Illusionen“. Auch will sie die Professoren nicht zur dauerhaften Anwesenheit in Frankfurt vergattern. Daß sie selbst zwischen Oder und Spree pendeln wird, könne sogar dazu beitragen, „eine Brücke zwischen der Viadrina und Berlin zu schaffen“.

Schwan hat über den polnischen Philosophen Leszek Kolakowski promoviert und spricht fließend die Sprache des Nachbarlandes jenseits der Oder

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